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Interview am WEF «Europa darf keine digitale Kolonie werden»

China und die Vereinigten Staaten liefern sich in den Augen von Philipp Hildebrand nur vordergründig ein Duell um Handelsfragen. Er sieht einen Kampf um die technologische Vorherrschaft in der künstlichen Intelligenz und der Digitalisierung.

Seine Angst: Europa ist dabei, sich ins Abseits zu manövrieren – egal, wie dieser Kampf ausgeht.

Philipp Hildebrand

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Philipp Hildebrand ist seit Oktober 2012 Vizepräsident von Blackrock, dem weltgrössten Vermögensverwalter. Von 2010 bis 2012 war er Präsident der Schweizerischen Nationalbank. Von diesem Amt trat er zurück, als bekannt wurde, dass seine damalige Frau kurz vor und nach der Einführung der Euro-Franken-Untergrenze 2011 über das gemeinsame Konto mit Devisen gehandelt hatte.

SRF: Herr Hildebrand, wie gefährlich ist der Handelsstreit zwischen den USA und China?

Philipp Hildebrand: Aus meiner Sicht ist der Handel nur die Spitze des Eisbergs. Es geht um viel mehr: um die Vorherrschaft in der Technologie.

Ich würde behaupten: Wenn die Historiker einst zurückschauen, wird man sagen, dass 2018/2019 der grosse Schnitt in den Beziehungen gewesen ist – das Ende dessen, was begonnen hat, als Richard Nixon 1973 nach China gegangen ist. Seitdem hatte man in verschiedenen Formen eine Art strategische Kooperation.

Dieser Schnitt geht sehr tief.

Heute sind wir leider aus europäischer, aber auch aus Schweizer Sicht eklatant in der Situation einer strategischen Konfrontation. Und das beeinflusst die Wirtschaftslage.

Ist denn der Kampf um die technologische Vorherrschaft bereits entschieden? Kippt es zugunsten Chinas?

Das ist eine offene Frage. Es geht hier um sehr viel. Man darf nicht vergessen, dass China laut einem offiziellen Strategie-Papier zur chinesischen Politik und Wirtschaft seit Jahren explizit anstrebt, die Vorherrschaft in der Technologie zu erringen, insbesondere in der künstlichen Intelligenz und der Digitalisierung. Dieses Ziel ist keine Überraschung.

Philipp Hildebrand und Eveline Kobler.
Legende: Philipp Hildebrand vor dem Interview mit SRF-Wirtschaftsredaktorin Eveline Kobler. SRF

Jetzt sehen wir, wie sich das Ganze entlädt und dass die Amerikaner hier stark reagieren. Wichtig ist: Das ist keine Trump-Geschichte. Und deshalb geht dieser Schnitt sehr tief. Es ist ein Thema, das die USA vereinigt: Alle Teile der Bevölkerung stehen dahinter, und auch die grössten Teile der Politik.

Soll sich Europa nun schützen? Wehren?

Es wäre ein Desaster, wenn Europa zur digitalen Kolonie werden würde – entweder von China oder von den USA. Man müsste alles tun, um zu verhindern, dass Europa letztlich nur noch die Wahl hat, entweder auf eine chinesische Infrastruktur zu springen oder auf eine amerikanische.

Im Übrigen sollten sich die USA auch überlegen, ob Europa in diesem Szenario wirklich Richtung Amerika gehen wird. Das ist nicht so klar.

Ist das Rennen nicht bereits gelaufen? Europa kann ja nicht einen Digital-Konzern aus dem Hut zaubern?

Ich würde nicht sagen, dass es gelaufen ist. Es geht ja immer weiter. Jetzt kommt zum Beispiel die 5G-Technologie. Aber Europa hat hier ohne Zweifel ein grosses Problem und muss dringend handeln.

Brexit: Situation in Grossbritannien ist «dramatisch»

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SRF hat mit Philipp Hildebrand, der in London wohnt, auch den Brexit thematisiert. Er spricht von einer «dramatischen» Situation. Man stehe zwei Monate vor dem Exit-Termin und wisse nicht, was geschehen werde.

Er rechnet damit, dass die EU einer Verschiebung zustimmen wird. «Das löst natürlich die Problematik nicht, aber wenigstens gewinnt man etwas Zeit.»

Philipp Hildebrand erinnert daran: «England und London ging es blendend vor diesem Referendum: die besten Wachstumsraten in der G7, ein florierender Finanzplatz. Man hat sich innerhalb von ein paar Monaten in eine Situation manövriert, in der die stärkste Volkswirtschaft der G7 zur schwächsten geworden ist – mit enormen Risiken für die Zukunft, wenn es zum harten Brexit kommt.»

Am 29. März, dem aktuellen Brexit-Tag, wird Philipp Hildebrand in London sein.

Das Interview führte Eveline Kobler.

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