Noch immer verdienen Frauen für die gleiche Arbeit in der Schweiz bis zu 20 Prozent weniger als Männer. Was tun gegen ungerechte Löhne von Mann und Frau? Politikerinnen und Experten setzen viel Hoffnung auf die Lohntransparenz.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Männer oft mehr verdienen.
Beim IT-Unternehmen Ergon sind Löhne kein Geheimnis mehr. Alle wissen voneinander, wer wie viel verdient. Denn am Firmensitz in Zürich werden Löhne gar nicht erst verhandelt. «Das Lohnsystem nimmt im Wesentlichen Ausbildung und Berufserfahrung als Kriterien für den Lohn. Sind diese gleich, ist auch der Lohn gleich», sagt Gabriella Keller, Chefin von Ergon.
Bei der Software-Firma ist das schon seit 25 Jahren so. Weil Ausbildung und Erfahrung die einzig objektiven Lohnkriterien seien, sagt Keller. Doch wie wirkt sich dieses System auf die Leistung aus? «Das System behandelt alle gleich. Das bedingt aber auch, dass alle einen ähnlichen Beitrag zum Firmenerfolg leisten», sagt Keller. Im Alltag sei das fast nie ein Problem.
Transparenz kommt im Betrieb gut an
Ihr Mitarbeiter Marco Dubacher sieht das gleich. Der IT-Spezialist arbeitet seit 13 Jahren bei Ergon. Bei ihm kommt die Lohntransparenz gut an: «Ich glaube, dass diese Transparenz die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen einfacher gestaltet.» Denn seien Löhne intransparent, wisse niemand, ob die Löhne gerecht seien. Das vergifte das Klima.
Für Dubachers Kollegin Katja Gräfenheim war das Lohnsystem der Grund, vor drei Jahren bei Ergon anzuheuern: «Mir gefällt vor allem, dass man nicht verhandeln muss. Ich hatte vor Ergon schon drei andere Stellen, dort musste ich jeweils verhandeln. Und das liegt mir nicht sehr gut», sagt die IT-Ingenieurin. Weil sie sich jeweils schlecht verkauft habe, sei ihr Lohn kleiner gewesen: «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Männer oft mehr verdienen».
Frauen wollen nicht als sozial inkompetent bezeichnet werden, weil sie sich bei Lohnverhandlungen nicht rollentypisch verhalten.»
Die Ökonomin Margit Osterloh von der Universität Zürich hält das Lohnsystem von Ergon für vorbildlich. Weil es Löhne intern nicht nur offenlege, sondern über Gehälter auch nicht mehr verhandelt werde. Die Forschung habe nämlich gezeigt, «dass Männer gerne verhandeln und Wettbewerb mögen. Bei Frauen ist das nicht so. Das heisst: Lohntransparenz in Verbindung mit Verhandlungssituationen ist für Frauen eher negativ als positiv.»
Die Erfahrung der Job-Plattform Hired in den USA scheint der Professorin Recht zu geben. Hired ist mittlerweile auch in Europa präsent. Auf dem Portal geben Job-Suchende den Lohn an, den sie meinen, wert zu sein.
Eine Analyse von Hired ergab, dass fast 70 Prozent der Frauen deutlich weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen verlangen – für die gleichen Stellen, bei gleicher Qualifikation und Erfahrung. Dies im Unwissen darüber, was Männer verlangen.
Ein langer Weg
Als Reaktion darauf gab Hired auf der Plattform Lohnskalen an für alle Job-Profile, Branchen und Hierarchiestufen. Um den Frauen zu helfen, sich besser einzustufen. Doch das Gegenteil passierte: Die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen verdoppelte sich. Im Wissen um die Löhne stuften sich die Frauen am unteren Ende der Skala ein – die Männer am oberen Ende.
Ökonomin Osterloh hat eine Erklärung: «Frauen die gut und hart verhandeln, werden bestraft: Männer mögen keine Frauen, die hart verhandeln. Frauen wollen nicht als sozial inkompetent bezeichnet werden, weil sie sich nicht rollentypisch verhalten.» Deswegen würden Frauen schliesslich nicht verhandeln, und damit auch weniger Geld bekommen.
Fazit: Löhne innerhalb einer Unternehmung offen zu legen, hilft zwar – aber Lohntransparenz alleine wird die ungerechtfertigten Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen nicht aus der Welt schaffen.