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Wirtschaft Parallelwährung WIR wird 80 Jahre alt

Geht es der Wirtschaft schlecht, leiden oft zuerst die KMU. Sie kommen kaum mehr an Geld. Ganz extrem war das während der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre. Und deshalb gründeten einige Unternehmen 1934 die WIR-Bank.

Die Wirtschaftskrise der dreissiger Jahre brachte kleine und mittlere Unternehmen ins Schleudern. Sie gründeten darum eine Wirtschaftsring-Genossenschaft – mit eigenem Geld, aber ohne Zinsen. Heute – 80 Jahre und mehrere Krisen später – ist die WIR-Bank Hüterin der grössten Parallelwährung der Welt.

Ernst Bachmann ist Wirt im Landgasthof Muggenbühl am Stadtrand von Zürich und einer von rund 50'000 WIR-Kunden. «Vor 15 Jahren hat mir die UBS-Bank eine Hypothek gekündigt und ich hatte Mühe, eine neue zu bekommen.» Die WIR-Bank habe ihm damals geholfen – nicht in der Währung WIR, sondern in Franken. «Das war so super, dass ich heute noch WIR-Kunde bin.»

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WIR - 80 Jahre Parallelwährung
aus Echo der Zeit vom 17.01.2014.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 17 Sekunden.

WIR-Kunden, die bei Bachmann essen, können bis zur Hälfte der Rechnung in WIR bezahlen – mit der WIR-Debit-Karte. Dabei gilt: Ein WIR-Franken entspricht einem Schweizer Franken. Allerdings wirft WIR-Geld keinen Zins ab. Darum sollten Teilnehmer bereits bei der Annahme wissen, wo sie es verwenden können.

Ernst Bachmann gelingt das bei seinen grossen Lieferanten – teils müsse er diese ein bisschen überzeugen, aber: «Das sind Firmen, die bauen selber.» Auf dem Bau sei es gang und gäbe, mit WIR zu arbeiten. «Und wenn sie die WIR nicht brauchen könnten, würden sie sie ja nicht nehmen», ergänzt er.

800 Millionen WIR-Franken wechseln Besitzer

Rund 800 Millionen WIR-Franken wechseln so regelmässig die Hand – vom Handwerker zum Wirt und über den Lieferanten wieder zum Handwerker. Kleine und mittlere Unternehmen hätten diese Komplementärwährung vor genau 80 Jahren ins Leben gerufen, weil ihnen die Banken kein Geld mehr gaben, erklärt WIR-Direktionsmitglied Hervé Dubois.

Entscheidend für den Erfolg der Genossenschaft sei gewesen, dass sie rasch eine Banklizenz erhalten habe und Kredite vergeben konnte: «Die Kredite sind auch in diesem System, wie in jeder anderen Volkswirtschaft, der Motor. Und alle anderen Organisationen konnten keine eigenen Kredite rausgeben.»

Netzwerkeffekte sind zentral

Gerhard Rösl, früher bei der Deutschen Bundesbank zuständig für Parallelwährungen und heute Professor an der Technischen Hochschule Regensburg, sieht noch einen anderen Grund dafür, dass es die WIR-Bank heute noch gibt, und dass sie sogar die grösste ihrer Gattung ist: «In den 30er-Jahren war sicherlich die Liquiditätsknappheit des Schweizer Frankens, die mit WIR-Geld überwunden werden konnte, zentral. Heute sind eher die Netzwerkeffekte im Vordergrund, neben den günstigen Krediten und dem Mehrumsatz, den man erwarten könnte.»

Tatsächlich kämen KMU heute auch andernorts günstig zu Geld, stellt Hervé Dubois fest. Für die WIR-Bank seien wirtschaftlich gute Zeiten deshalb eher schwierige: «Für die WIR-Bank ist der jetzige Moment sicher nicht einfach, weil wir eine historisch tiefe Zinssituation haben. Die WIR-Kredite büssen an Attraktivität ein, weil auch die Schweizer-Franken-Kredite sehr tief sind.» Man müsse aber davon ausgehen, dass sich diese Situation weiter entwickeln werde.

WIR-Bank bietet neue Dienstleistungen an

Das reine WIR-Geschäft lief schon runder, doch die WIR-Bank macht längst nicht mehr nur das. Unterdessen bietet sie Konti mit Zins, gemischte Kredite in WIR und Schweizer Franken und 3a-Säulen für Privatkunden. Hervé Dubois zu diesem Bruch mit früheren Tabus: «Man hat in gewissen Bereichen einen Plafonds erreicht. Mit 60‘000 Teilnehmern ist es ein relativ kleiner Markt. Auf der anderen Seite war es eine Sicherstellung der Weiterentwicklung der WIR-Bank, indem man dann einen zweiten Pfeiler aufgebaut hat.»

Ein Bitcoin.
Legende: Beim Bitcoin sind die Teilnehmer anonym. Nicht so beim WIR. Keystone

Heute sieht die WIR-Bank ihre Währung als Ergänzung zum Schweizer Franken. Die Gründer allerdings strebten einen Systemwechsel an, in dem das bessere, gerechtere WIR-Geld den Franken ersetzen sollte.

Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann macht Parallelen aus zur computergenerierten Währung Bitcoin, die in den letzten Monaten für Schlagzeilen gesorgt hat – und einen grossen Unterschied: «Beim WIR-Geld handelt es sich um einen Kreis von Personen, der sehr gut überwacht ist. Es gibt klare Zugangskriterien.» Die Bank, die das organisiere, wisse, mit wem sie es zu tun habe.

Bei Bitcoin sei alles völlig anonym. Was gleich sein werde, ist, dass nur ein Teil der Transaktionen abgedeckt werden könne. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bitcoin, oder das WIR-Geld je das staatlich garantierte Papiergeldsystem völlig ablösen werden», sagt Straumann weiter.

Bitcoin oder WIR-Geld, die Erwartungen an Komplementärwährungen sind heute wie damals gross. Ihr Überleben aber hängt langfristig vom realen Nutzen ab, den sie bieten – für die Lieferanten, die Handwerker und den Wirt.

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