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Plattform-Ökonomie Uber und Co.: «Das ist Wilder Westen»

Es klingt nach grosser Freiheit: Aber wer für Digital-Plattformen tätig ist, kämpft ums Überleben, sagen Gewerkschafter.

Keine Ferien, keine Unfallversicherung, keine Sozialversicherungsbeiträge – wenn Philippe für den Essensdienst Uber Eats in Genf als Velokurier unterwegs ist, gilt er als Selbständiger. «Ich bin mein eigener Chef». Und: «Ohne Uber wäre ich vielleicht arbeitslos». Das ist seine positive Sichtweise.

Die negative: «Stellen Sie sich vor, mich fährt ein Auto an. Dann bin ich auf mich allein gestellt. Das finde ich nicht so toll – für 100 Franken am Tag.»

Philippe wird pro Bestellung bezahlt. Der Verdienst variiert – bis zu sieben Franken, je nach Entfernung. Wartezeiten werden nicht vergütet, auch nicht die Benutzung seines Mobiltelefons oder seines Velos.

Der Lieferdienst Uber Eats will demnächst auch nach Zürich expandieren.

Professionelle Kuriere verdienen das Zwei- oder das Dreifache von Uber-Eats-Fahrern, wie etwa bei Vélopostale. Seit diesem Monat gilt für die Schweizer Velokuriere ein Gesamtarbeitsvertrag. 20.35 Franken Mindestlohn, geregelte Zuschläge und sogar ein Vaterschaftsurlaub sind Bestandteile davon.

Die Trottinett-Auflader kommen nachts

Ein zweites Beispiel: Innerhalb weniger Monate hat das Elektro-Trottinett zu Tausenden die Städte im In- und Ausland erobert.

Der Kunde kann die Gefährte von Bird und anderen Firmen über eine App entriegeln und wieder stehen lassen, wo er möchte. Aufladen muss er sie nicht, und dennoch sind sie immer einsatzbereit.

Dahinter steht eine Heerschaar von freien Mitarbeitern. Das Westschweizer TV-Magazin «Toutes Taxes Comprises» hat sie in Paris getroffen. Sie sammeln die Trottinetts nachts ein, laden sie auf und stellen sie zwischen vier und sieben Uhr früh wieder an vorgegebenen Plätzen ab. Sie erhalten zwischen fünf und acht Euro pro Gerät, je nach Schwierigkeit, es zu finden, und nach Akku-Stand.

Daniel, einer der Einsammler findet, es sei ein gutes Geschäft für ihn, «vor allem am Abend». Auf die Frage, ob er in der Nacht überhaupt schlafe, sagt er: «Ja, so zwei bis drei Stunden.»

Die nächtliche Ausbeute ist nicht immer gut: Manchmal finden sie die Trottinetts nicht, weil andere sie schon abgeholt oder die Kunden sie unauffindbar zurückgelassen haben. Dann fällt der Verdienst aus.

Das ist absolut Wilder Westen.
Autor: Pierre-Yves Montéléon Gewerkschafter CFTC

«Das ist die Rückkehr zur Stückarbeit, wie wir sie Ende des 19. Jahrhunderts kannten», kritisiert Pierre-Yves Montéléon von der Gewerkschaft CFTC. «Jeder arbeitet für sich und erledigt die Aufgabe, die von ihm verlangt wird. In diesem Fall: Trottinett einsammeln, aufladen und zurückbringen. Es gibt absolut keine Absicherung, aber es geht ums Überleben.»

Seiner Auffassung nach klingen dieser Arbeitsverhältnisse nach «absolut Wildem Westen».

In Genf empört sich Staatsrat Mauro Poggia von der Rechtspartei «Mouvement Citoyens Genevois» über die Firmen, die diese Verhältnisse schaffen: «Warum sollten wir einen Teil unserer Bevölkerung unter prekären Bedingungen arbeiten lassen, auf Abruf, mit ungenügendem Einkommen, was wir wiederum ausgleichen müssen?», sagt er.

«Und davon profitieren dann Unternehmen, die nicht einmal hier angesiedelt sind und bei uns keine Steuern bezahlen.» Uber etwa hat seine Europa-Aktivitäten in den Niederlanden angesiedelt.

Unser tolles Sozialsystem wird in sich zusammenfallen.
Autor: Michel Guillot Gewerkschafter Syndicom

Wenn sich diese Unternehmen weigern, zum Schweizer Sozialsystem beizutragen, schwächen sie es, so die Meinung von Michel Guillot von der Gewerkschaft Syndicom.

Er sagt: «Uber und alle anderen Low-Cost-Unternehmen haben dieselbe Logik der falschen Selbständigen: Man erhält miserable Löhne, und man bekommt keine Ausgaben erstattet. Wenn es immer mehr von diesen Unternehmen gibt, die nach dieser Logik funktionieren, wird unser tolles Sozialsystem einfach in sich zusammenfallen.»

Plattform-Ökonomie: «The winner takes it all»

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Jahr für Jahr nur Verluste, trotzdem ist Uber an der Börse rund 80 Milliarden Dollar wert. Geldgeber stecken Milliarden in Firmen, von denen man nicht weiss, ob sie irgendwann Gewinn machen.

In der Plattformökonomie ist dies nichts Aussergewöhnliches, meint Finanzanalyst Christian Fröhlich von der Zürcher Kantonalbank: «Man muss immer bedenken, das sind junge Firmen. Da muss ein neues Produkt, eine neue Technologie entwickelt werden». Dies benötige am Anfang hohe Investitionen, welche sich aber später sehr auszahlen können.

Ein wichtiger Faktor bei digitalen Plattformen spielt das schnelle Wachstum in den Anfangsjahren. Grösse ist laut Christian Fröhlich entscheidend, ein gutes Beispiel sei Whatsapp: «Es hat viele Messengers gegeben, aber derjenig, der sich am Anfang durchsetzt, sprich die grösste Plattform ist, kann weltweit am meisten Nutzer anziehen».

Dadurch entsteht in der Plattform-Ökonomie ein gnadenloser Verdrängungskampf, nach dem Motto: «The winner takes it all».

Uber wehrt sich gegen diese Sichtweise. «Jeder Fahrer ist frei, ob, wann und wie häufig er die App nutzen möchte», sagt Uber-Sprecherin Luisa Elster zu «ECO». Kurz: Die Fahrer sind nicht angestellt.

Vor dem Arbeitsgericht in Lausanne ist Uber damit jüngst abgeblitzt. Das Gericht taxierte einen ehemaligen, entlassenen Fahrer als Angestellten.

Alles spricht dafür, dass Uber dieses Urteil weiterzieht. «Man kann davon ausgehen, dass es noch Monate oder Jahre dauern wird, bis dieser Fall endgültig geklärt ist», sagt die Sprecherin.

Teilsieg für Uber gegen Suva

Rechtsanwalt Thomas Rihm stützt die Haltung von Uber. Und sieht sich in guter Gesellschaft: «Es gibt auch ein Urteil eines französischen Arbeitsgerichts, das besagt, dass Uber-Fahrer selbständig sind». Auch in anderen europäischen Ländern hätten Gerichte jüngst eine uber-freundliche Haltung eingenommen.

Ganz anders die Schweizer Unfallversicherung Suva. Für sie sind Fahrer Angestellte, entsprechend müsste Uber Versicherungsbeiträge für sie zahlen. Die Argumentation der Suva: Taxifahrer, die einer Zentrale angeschlossen sind, seien «grundsätzlich als unselbstständig Erwerbende» einzustufen – also als Angestellte. Der Fahrer trage «kein Unternehmerrisiko» und sei «arbeitsorganisatorisch von der Zentrale abhängig.»

Uber wehrt sich

Uber dagegen sieht sich als Technologie-Unternehmen, das bloss eine elektronische Plattform für selbstständige Taxi-Fahrer und ihre Kunden anbietet.

Uber wehrte sich 2018 vor dem Zürcher Sozialversicherungsgericht – und errang einen Teilerfolg. Es sei nicht erwiesen, dass Uber Schweiz der Arbeitgeber sei, so das Gericht. Vielleicht aber ein Uber-Ableger in einem anderen Land.

Der Vergleich mit dem Kuckuck

Kritik an den Plattform-Unternehmen kommt auch aus der Wissenschaft. Martin Vetterli, Präsident der ETH Lausanne, spricht von einer «Kuckucks-Ökonomie»: «Diese Firmen nisten sich in ein Umfeld ein, das bereits über sehr gute Infrastrukturen wie Strassen und Mobilnetz verfügt, entfalten sich darin, zahlen aber nichts».

Bei Uber scheint die Erkenntnis zu reifen, dass es Anpassungen braucht, um dem Widerstand zu begegnen.

Sprecherin Luisa Elster: «In vielen EU-Ländern haben wir ein kostenloses Versicherungspaket, das alle Partner schützt. In der Schweiz rollen wir ein ähnliches Programm in Kürze aus».

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