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Thomas Cook ist insolvent «Die grösste zivile Massenevakuation seit dem Zweiten Weltkrieg»

Seit 178 Jahren war Thomas Cook Sinnbild für Ferienreisen und aufkommenden Tourismus. Nicht zuletzt die Unsicherheiten rund um den Brexit haben dem Konzern jetzt aber das Genick gebrochen, weiss Korrespondent Martin Alioth.

Martin Alioth

Ehemaliger Grossbritannien- und Irland-Korrespondent, SRF

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Der ehemalige Grossbritannien- und Irland-Korrespondent von Radio SRF lebt seit 1984 in Irland. Er hat in Basel und Salzburg Geschichte und Wirtschaft studiert.

SRF News: Wie wird die Pleite-Nachricht in Grossbritannien aufgenommen?

Martin Alioth: Es ist beinahe das Ende eines Zeitalters. Thomas Cook war ein baptistischer Möbelschreiner, der vor 178 Jahren den Reiseveranstalter gründete. Er erfand quasi den Massentourismus und den Reisecheck.

Probleme hatte Thomas Cook schon länger. Warum ist die Rettung jetzt nicht gelungen?

Die Gläubigerbanken und der mittlerweile chinesische Hauptaktionär bestanden darauf, dass zusätzliche Liquidität in Höhe von 200 Millionen Pfund eingespritzt werden müsse, um über den Winter zu kommen.

Möglicherweise ist das Geschäftsmodell von Thomas Cook für den Massentourismus überholt.

Doch weder die britische Privatwirtschaft noch die Regierung waren bereit, dies zu tun. Möglicherweise ist das Geschäftsmodell von Thomas Cook für den Massentourismus tatsächlich überholt – deshalb wollte niemand dieses Risiko eingehen.

Die britische Regierung hat Thomas Cook zwar nicht gerettet. Wird sie aber den Scherbenhaufen beseitigen?

Ja – dabei hätte sie statt der sofortigen Liquidation Thomas Cook auch unter Zwangsverwaltung stellen können. In diesem Fall wären die Aktivitäten von einer Beratungsfirma vorerst weitergeführt worden.

Niemand war bereit, die Risiken zu übernehmen.

Doch es war niemand bereit, die damit verbundenen Risiken zu übernehmen. Deshalb ist jetzt Schluss.

Von der Pleite sind auch bis zu 165'000 britische Urlauber betroffen, die jetzt im Ausland festsitzen. Was passiert mit ihnen?

Die britische Regierung hat versprochen, sie alle rechtzeitig nach Hause zu bringen. Damit steht jetzt die grösste zivile Massenevakuation seit dem Zweiten Weltkrieg an. Das britische Amt für Zivilluftfahrt hat bereits 40 Flugzeuge gechartert, um die rund 1000 Flüge in den nächsten zwei Wochen zu bewältigen. Die britischen Touristen müssen aus insgesamt 55 Orten auf der ganzen Welt nach Grossbritannien zurückgeflogen werden. Eine ähnliche Aktion wird es wohl in Deutschland geben. Dort liegt die Zahl der betroffenen Urlauber offenbar bei bis zu 300'000.

Die Briten halten sich bei Buchungen zurück – sie wissen nicht, ob sie in zwei Monaten noch visumsfrei reisen können.

Thomas Cook selbst teilte mit, auch der Brexit habe eine Rolle gespielt. Wie ist das gemeint?

In erster Linie spielt die Abwertung des Pfunds seit Juni 2016 eine Rolle, da Thomas Cook in britischen Pfund abrechnet. Zudem sind die Briten zurückhaltend bei ihren Urlaubsplänen und Buchungen, weil sie nicht wissen, ob sie in zwei Monaten noch visumsfrei irgendwohin reisen können.

Das Gespräch führte Joël Hafner.

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