In einer Garage in einem Berner Wohnquartier stehen rund ein Dutzend E-Bikes. Notime aus Zürich hat hier einen kleinen zweiten Standort eingerichtet. Moritz Thomi, ein junger Kurier in schwarzem Kapuzenpulli und leuchtender Weste, macht sich parat für seine Schicht und nimmt ein Velo hervor.
Wobei das Velo eher an ein grosses Tandem erinnert. Vor dem Lenkrad ist eine etwa ein Meter grosse Kiste angebracht. Die belädt der Kurier mit den Paketen, die er in den nächsten drei Stunden ausliefern soll. «Das meiste sind Elektronikartikel von Onlinehändlern oder Express-Zustellungen», sagt Thomi.
Eine App plant nun seine Route, sodass die Pakete pünktlich geliefert werden. Wie sieht es mit dem Zeitdruck als Fahrer aus? «Einen gewissen Druck gibt es, aber in den meisten Fällen passt es.» Seit fünf Monaten ist Thomi Velokurier. Heute hat er sich warm angezogen. Es soll im Verlauf des Abends noch schneien. Doch die Kunden erwarten die Pakete bei jedem Wetter.
Er setzt sich aufs Elektrovelo und fährt los. Vor Weihnachten ist besonders viel los. «Bis zu 30 Prozent mehr Pakete als sonst liefern die Kuriere aus», sagt Reto Graf, Finanzchef von Notime. Das Start-up wurde vor fünf Jahren in Zürich gegründet, vor zwei Jahren hat die Post die Mehrheit übernommen.
Es ist schwierig in der Logistikbranche Geld zu verdienen.
Vom boomenden Onlinehandel profitierten sie nur beschränkt, sagt Graf. Trotz höherem Umsatz. «Es ist schwierig in der Logistikbranche Geld zu verdienen. Wir bezahlen faire Löhne und haben gute Arbeitsbedingungen. Entsprechend heisst mehr Umsatz nicht immer mehr Gewinn.»
Konkrete Angaben zu Umsatz und Gewinn will Graf keine machen. Wegen der Konkurrenz, sagt er. Auch zu der Höhe der Löhne äussert er sich nicht. Diese seien heute besser als bei der Konkurrenz, heisst es bei der Gewerkschaft Syndicom.
Es ist charakteristisch für eine boomende Branche, dass sie wenig reguliert ist. Das führt zu schlechten Arbeitsbedingungen.
Das gilt auch für die Arbeitsbedingungen: Zu Beginn beschäftigte Notime die Fahrer als selbständig Erwerbende, deckte also weder Sozialabgaben noch Unfallversicherung. Nach Kritik der Gewerkschaften haben die Fahrer nun einen Arbeitsvertrag mit Sozialleistungen.
Trotzdem fordert Syndicom einen GAV, um die Arbeitsbedingungen weiter zu verbessern. Notime und die Gewerkschaften verhandeln deshalb zurzeit darüber. Auch wenn der Handlungsbedarf bei anderen Firmen wohl noch grösser wäre.
Er höre immer wieder von prekären Arbeitsbedingungen in der Kurierbranche, sagt David Roth, Zentralsekretär bei Syndicom: «Es ist charakteristisch für eine boomende Branche, dass sie wenig reguliert ist. Das führt zu schlechten Arbeitsbedingungen» Das sei häufig nicht einmal böser Wille der Arbeitgeber, sondern den chaotischen Bedingungen bei schnell wachsenden Unternehmen geschuldet.
Arbeit auf Abruf und tiefe Löhne für die harte und gefährliche Arbeit seien immer wieder ein Thema: Es gebe Kuriere, die nur 17.60 pro Stunde verdienten – inklusive Spesen. Das ist unter dem Mindestlohn von 18.27, der die Aufsichtsbehörde Postcom dem Logistikmarkt verordnet hat und unter dem Mindestlohn von rund 20 Franken, den der Velokurier-GAV vorschreibt.
Syndicom strebt deshalb an, dass dieser GAV für allgemeinverbindlich erklärt und so für alle Velokurierunternehmen gelten würde. Heute sind rund ein Drittel aller Velokuriere keinem solchen GAV angeschlossen. Rechnet man noch die Foodkuriere dazu, also jene, die Essen austragen, ist es mehr als die Hälfte.