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Tricks der Pharmaindustrie Pharmakonzerne investieren mehr in Marketing als in Forschung

Konzerne nutzen allerhand Marketingtricks, um Marktanteile zu gewinnen und damit zusätzliche Profite zu generieren.

Das Wichtigste in Kürze

  • Pharmakonzerne verkaufen das identische Medikament unter zwei Namen zu unterschiedlichem Preis.
  • Viele Selbsthilfegruppen lassen sich von der Industrie sponsern.
  • Für Marketing geben Pharmafirmen bis zu zehnmal soviel aus wie für die Forschung.

Beispiel Astra Zeneca

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Der Patentschutz für den Cholesterinsenker Crestor von Astra Zeneca läuft ab. Die Firma brachte dieses Jahr das identische Medikament Fabrik unter dem Namen Crestastatin auf den Markt. Für das Original Crestor, 100 Tabletten, 20 Milligramm, verlangt die Firma 149.55 Franken, für das identische Medikament Crestastatin hingegen nur 44.87 Franken.

Ein Trick, um Marktanteile zu sichern, ist das sogenannte Co-Marketing. Das heisst, der Pharmakonzern bringt sein Originalmedikament unter einem anderen Namen und zu einem anderen Preis auf den Markt: das identische Medikament in zwei verschiedenen Packungen. «Co-Marketing wird beispielsweise vor Patentablauf eines Medikamentes eingesetzt», sagt der Medikamentenexperte Andreas Schiesser vom Krankenkassenverband Curafutura.

Der Originalhersteller besetzt somit frühzeitig den Generikamarkt mit seinem eigenen Produkt. «Das ist eine erfolgreiche Strategie, die es der Originalfirma erlaubt, ihren Marktanteil möglichst lange hochzuhalten», sagt Schiesser.

Mehrere hundert Co-Marketing-Produkte gibt es bereits. Oft stehen sowohl das teure Original als auch das günstigere Co-Marketing-Produkt auf der Spezialitätenliste des Bundesamtes für Gesundheit BAG, das heisst, beide sind kassenpflichtig.

Guido Klaus, Mitglied der Arzneimittelkommission und Gesundheitsökonom der Helsana kritisiert: «Stossend ist, dass wir das genau gleiche Produkt zu einem viel höheren Preis trotzdem vergüten müssen, weil das Originalmedikament nach wie vor auf der Spezialitätenliste ist, und uns das BAG verpflichtet, auch die höheren Preise zu bezahlen.»

Das BAG könnte das teure Originalpräparat von der Spezialitätenliste nehmen, tut es aber nicht. «Es ist im Interesse der Prämienzahlenden, dass zum teureren Originalpräparat auch noch ein günstigeres Co-Arzneimittel kommt», sagt BAG-Vizedirektor Thomas Christen. Das sei die einzige Möglichkeit, noch bevor das Patent eines Medikaments abläuft, Kosteneinsparungen zu erzielen.

Werbung und freie Preise für kassenpflichtige Medikamente

Ein weiterer Grund für den Co-Marketing-Trick ist die Möglichkeit, für Medikamente zu werben und höhere Preise zu verlangen: Wenn ein Medikament auf der Spezialitäten-Liste des BAG steht und also kassenpflichtig ist, darf es nicht beworben werden. Gleichzeitig verkauft der Hersteller das identische Produkt als sogenanntes Over-The-Counter-Produkt OTC. Dieses ist in Apotheken frei verkäuflich. Pharmafirmen und Apotheken dürfen dafür Werbung machen und höhere Preise verlangen.

Das ist eine Schlaumeierei. Man kann da durchaus auch von Irreführung des Konsumenten sprechen.
Autor: Guido Klaus Gesundheitsökonom Helsana

Beispiel Iromedica

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Die Rheumasalbe Kytta med von Iromedica steht auf der Spezialitätenliste. Die Krankenkassen bezahlen. Kytta Salbe hingegen, das identische Produkt aus der gleichen Fabrik, ist ohne Rezept erhältlich. Der Kunde zahlt selbst. Kytta med, 100 Gramm, kostet 14.35 Franken. Kytta Salbe hingegen kostet in der Bahnhofsapotheke Zürich 26.40 Franken.

Viele Co-Marketing-Produkte ähneln in Name und Verpackung stark dem Original. Guido Klaus von der Helsana: «Das ist eine Schlaumeierei. Man kann da durchaus auch von Irreführung des Konsumenten sprechen. Eine Firma muss sich entscheiden: entweder will sie ein kassenpflichtiges Medikament auf den Markt bringen, dann darf sie keine Werbung machen. Oder sie entscheidet sich, auf dem freien Markt ihr Produkt anzubieten, dann darf sie Werbung machen.» Die Firma Iromedica lässt mitteilen: Die einen Preise würden vom BAG festgelegt, die anderen vom Handel. Und Astra Zeneca sagt auf Anfrage: Man äussere sich grundsätzlich nicht zur Preisgestaltung.

Krankheiten erfinden und damit Profit machen

Ein weiterer Trick, um den eigenen Profit zu steigern, heisst Disease Mongering: Krankheitserfindung. Je mehr Menschen Medikamente benötigen, desto höher ist der Umsatz der Konzerne. Man versucht also Menschen, denen es gut geht, zu überzeugen, dass sie krank sind und leicht Kranke, dass sie schwer krank sind.

Eine Spielart von Disease Mongering ist die sogenannte Überdefinition. «Das bedeutet, dass man Schwellenwerte absenkt, ab wann ein Zustand als krank bezeichnet wird», sagt Wolf-Dieter Ludwig von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

So sank der Schwellenwert für Blutzucker in den letzten Jahren von 140 Milligramm pro Deziliter auf 126. Ein Mensch mit 100 Milligramm pro Deziliter soll bereits gefährdet sein. Prädiabetes heisst die Diagnose. Das schafft Millionen neue Kranke.

Schwellenwerte und Leitlinien werden zwar von den Fachgesellschaften der Ärzte festgelegt. Aber die Beteiligten sind häufig von der Industrie abhängig und lassen sich auch von Pharmakonzernen bezahlen.

Man senkt Schwellenwerte ab, ab wann ein Zustand als krank bezeichnet wird.
Autor: Wolf-Dieter Ludwig Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

Weitere Spielarten des Disease Mongering: Leichte Beschwerden wie Reizdarm- oder Restless-Legs-Syndrom werden zu Vorboten schwerer Krankheiten aufgebauscht. Persönliche Probleme wie soziale Phobie werden in medizinische Probleme umgemünzt. Das ist zwar auch ein gesellschaftlicher Trend, doch die Pharmaindustrie unterstützt diesen und profitiert davon.

Zu Disease Mongering gehört auch die Übermedikalisierung. «Das bedeutet, dass man physiologische Vorgänge, zum Beispiel ein Absinken des Testosteronspiegels beim älteren Mann als Krankheit definiert und mit Testosteron behandelt», sagt Ludwig. «Diese Massnahme, die inzwischen in vielen Studien untersucht wurde, ergibt keinen Sinn, bringt aber den Herstellern der Testosteronpräparate viel Geld ein.»

Sponsoring bei Selbsthilfegruppen

Einer Firma nützt es wenig, wenn ein Mensch zwar krank ist, aber ihr Medikament nicht kauft. Deshalb versuchen Konzerne, mit Kranken in Kontakt zu treten, indem sie etwa Selbsthilfeorganisationen wie ADHS 20 plus, Inkontinex oder die Magendarmliga sponsern. Dutzende solcher Organisationen werden von Pharmakonzernen bezahlt.

Pharmakonzerne geben Milliarden von Dollar für Forschung und Entwicklung aus. Doch wesentlich mehr bezahlen sie für Marketing. Das Geld fliesst neben Selbsthilfeorganisationen in Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte, Fernsehspots, Beiträge in Fachzeitschriften und vieles mehr.

Laut einer Studie des Instituts IHSP vom letzten Jahr geben von hundert der grössten Pharmakonzerne nur elf Firmen mehr Geld für die Forschung aus. 58 Firmen zahlen dreimal so viel für das Marketing wie für die Forschung, 43 Firmen fünfmal so viel und 27 von hundert Firmen gar zehnmal so viel. Auch Novartis steckt deutlich mehr Geld in das Marketing als in die Forschung. Seltene Ausnahme ist Roche. Der Konzern gibt etwas mehr Geld für die Forschung aus.

Der Schweizer Branchenverband Interpharma wollte sich nicht äussern und verzichtete auf ein Interview. Thomas Cueni vom internationalen Branchenverband IFPMA zog eine Interviewzusage wieder zurück.

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