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Übergewichtige Menschen auf der Strasse.
Legende: 77 Prozent der mexikanischen Bevölkerung sind fettleibig oder übergewichtig, sagt das mexikanische Gesundheitsministerium. Arte

Übergewicht in Mexiko Seco unterstützt Nestlés Lobbying gegen Warnhinweise

Interne Dokumente zeigen: Nestlé wehrt sich gegen Warnungen auf Junk-Food in Mexiko – mit offizieller Schweizer Hilfe.

Wenn es um die Lebensmittelindustrie in Mexiko geht, hält sich der stellvertretende Gesundheitsminister Hugo Lopez-Gatell nicht zurück: «Nationale und globale Wirtschaftsakteure sollten nicht die öffentliche Politik bestimmen.» 

Der Grund für seinen Ärger zeigt sich in den Zahlen der nationalen Gesundheitsstudie aus dem Jahr 2020: 38 Prozent aller Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren sind übergewichtig oder gar fettleibig. Über drei Viertel der Mexikanerinnen und Mexikaner sind zu dick.

Die Hälfte aller Todesfälle und Erkrankungen ist auf schlechte Ernährung zurückzuführen.

Lebensmittelindustrie behindert Initiativen gegen Übergewicht

Um der Fettleibigkeit entgegenzuwirken, beschloss die mexikanische Regierung, dass die Lebensmittelindustrie ihre Produkte mit klaren Kennzeichnungen versehen muss.

Es soll explizit vor einem Übermass an Kalorien sowie hohen Zucker- und Fettgehalten in vorgefertigten Lebensmitteln und Softdrinks gewarnt werden.

Schwarze Warnhinweise auf Lebensmittelpackung
Legende: Warnhinweise auf Lebensmittelverpackungen Mit schwarzen Oktagons wird vor übermässigen Kalorien sowie hohem Zucker- und Fettgehalt gewarnt. Mexican Elite / Erick Schmal

Multinationale Unternehmen, so auch Nestlé, torpedieren diese Massnahmen durch Lobbyarbeit im mexikanischen Parlament oder auf Minister-Ebene über die Welthandelsorganisation WTO. Das Argument: Die Kennzeichnungen seien ein Handelshemmnis.

Nestlé kämpft auf allen Ebenen

Laut Marktdaten, die der Nichtregierungsorganisation Public Eye vorliegen, belief sich der Einzelhandelsumsatz von Nestlé-Produkten, denen in Mexiko schwarze Warnhinweise drohten, 2019 auf über eine Milliarde Franken.

Nestlé wehrt sich und fordert in Mexiko ihre Zulieferer auf, Druck auf die Regierung zu machen. Der Konzern begründet: Es würden Arbeitsplätze zerstört, denn die Konsumentinnen und Konsumenten könnten die Warnhinweise nicht einordnen.

Die Ursache der Fettsucht-Epidemie ist das Überangebot und der Überkonsum.
Autor: Hugo Lopez-Gatell Stellvertretender Gesundheitsminister Mexiko

Der Milliardenkonzern vom Genfersee wendet sich auch ans Staatssekretariat für Wirtschaft Seco und bittet um Hilfe. Der Mailverkehr zwischen dem Seco und Nestlé liegt SRF vor.

Das Bundesamt reagiert. Ohne Absprache mit der Branche zu treffen, interveniert das Seco auf WTO-Ebene sowie im mexikanischen Gesetzgebungsverfahren. Es folgt mehr oder minder Nestlés Argumentation und äussert Bedenken bezüglich der Regelung.

Das Schweizer Aussendepartement EDA reagiert überrascht über den Alleingang des Seco. Aus dem E-Mail Austausch zwischen Seco und EDA geht hervor, dass eine offizielle Intervention des Seco in Zusammenarbeit mit allen betroffenen Schweizer Unternehmen hätte erfolgen sollen.

Schriftliche Stellungnahme des Seco

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«Das Seco handelt nicht im Auftrag von Nestlé oder eines bestimmten Unternehmens. Als globales Unternehmen hat Nestlé Interessen in verschiedenen Ländern der Welt. Das Seco berücksichtigt begründete Anliegen von Nestlé, wie auch von allen anderen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz.»

Timo Kollbrunner, von Public Eye, hat die internen E-Mails der Bundesämter und Nestlé analysiert und sagt: «Letztlich diktiert Nestlé, wo die Probleme sind. Seco fragt bei Nestlé nochmals nach, wo man intervenieren soll. Dann wird es genau so gemacht, wie der Konzern vorschlägt.»

Illegal sei das nicht, aber dennoch problematisch, denn letztlich diktiere so ein mächtiger Konzern die offizielle Schweizer Position.

Hugo Lopez-Gatell, stellvertretender Gesundheitsminister von Mexiko, findet die Haltung der Industrie unverantwortlich und egoistisch: «Die Ursache der Fettsucht-Epidemie ist das Überangebot und der Überkonsum genau derjenigen Produkte, welche diese Unternehmen herstellen.» Denn die Unternehmen würden ihre wirtschaftlichen Interessen über die Gesundheit der Bevölkerung stellen.

Schriftliche Stellungnahme von Nestlé

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«Nestlé unterstützt weltweit klar verständliche und gut sichtbare Nährwertangaben auf Verpackungen wie zum Beispiel Nutri-Score in der Schweiz. Unsere Bedenken betrafen die ganz besondere Form der Kennzeichnung von Lebensmitteln mit Warnhinweisen. Wir glauben nicht, dass diese den Konsumentinnen und Konsumenten dabei helfen, eine gesündere Wahl zu treffen. Wir halten uns selbstverständlich an die geltenden Kennzeichnungsvorschriften in Mexiko.»

Die Ernährungsgewohnheiten in Mexiko dürften sich so schnell nicht ändern – die wirtschaftlichen Interessen der Grosskonzerne aber auch nicht.

10vor10, 01.07.2022, 21:50 Uhr

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