Wenn ein Kind sich nicht normal entwickelt, beginnt für die Familie oft eine lange Zeit der Ungewissheit. Für Eltern von Kindern mit seltenen Krankheiten gehört dieses Hoffen und Bangen dazu. Um sie zu unterstützen, hat Manuel Stier 2014 einen Förderverein initiiert. Die Unternehmerin aus Uster spricht von einem «Herzensprojekt».
SRF News: Was war Ihre Motivation, dass Sie vor bald sechs Jahren den Verein «Kinder mit seltenen Krankheiten» gegründet haben?
Manuela Stier: Ich selber habe keine eigenen Kinder und wollte auch keine, damit ich mich auf meine Karriere konzentrieren konnte. Als ich 50 Jahre alt geworden bin, sah ich die Zeit gekommen, mich sozial und auch nachhaltig zu engagieren. Ich lernte eine Familie kennen mit einem Kind, das an einer seltenen Krankheit leidet. Durch mein Engagement realisierte ich immer mehr, wie schwierig und anspruchsvoll der Alltag einer betroffenen Familie aussieht und welche gesellschaftlichen Konsequenzen ein schwer krankes Kind mit sich bringt. Ich realisierte auch, wieviele Betroffene es gibt – allein in der Schweiz leiden 350'000 Kinder an einer seltenen Krankheit. Da habe ich mich entschieden, etwas für diese Kinder und Familien aufzubauen.
Sie gründeten den Verein im Februar 2014. Mit welchen Zielen?
Es geht um drei zentrale Bereiche: Unterstützung der Familien und Kinder, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit. Die Betreuung von Kindern mit einer seltenen Krankheit ist nicht nur zeitlich aufwändig, sie ist auch teuer. Mit einer finanziellen Unterstützung können wir Familien eine Auszeit anbieten oder wir können ein spezielles E-Bike kaufen, damit die Familie Ausflüge mit ihrem Kind machen kann. Enorm wichtig ist die Vernetzung. Wenn Eltern die Diagnose ihres kranken Kindes bekommen, dann verändert sich ihr Leben auf einen Schlag und viele fühlen sich dann auch allein gelassen. Bei unseren Veranstaltungen treffen sich die Familien und können sich austauschen.
Das dritte Ziel, das Sie erwähnt haben, ist die Öffentlichkeitsarbeit...
... ja, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, ist enorm wichtig. Wir müssen den Betroffenen eine Stimme geben, sie müssen gehört werden. Seltene Krankheiten sind nicht im Fokus der Medizin und der Gesellschaft. Die betroffenen Familien kämpfen oft einen einsamen Kampf. Oft dauert es mehrere Jahre, bis eine Diagnose gestellt ist, weil eben die Krankheit selten ist oder unbekannt. Damit Betroffene unterstützt werden können, braucht es deshalb die Öffentlichkeit, die auch hilft. Wir haben aus diesem Grund bereits zwei sogenannte Wissensbücher veröffentlicht, die aufzeigen, was es für eine Familie bedeutet, wenn ihr Kind an einer seltenen Krankheit leidet.
Was hat ihr Verein bisher erreicht?
Wir haben heute 1400 Mitglieder. Allein dieses Jahr konnten wir 2000 Betroffene an Veranstaltungen einladen und die Freude der Eltern und Kindern ist immer herzberührend. Dann organisieren jeweils am internationalen Tag der seltenen Krankheiten Diskussionsrunden mit Ärztinnen, Spezialisten, Eltern und Politikerinnen. Und ein weiterer Erfolg ist unsere neue Vereinspräsidentin. Wir konnten die Direktorin des Instituts für medinische Genetik an der Universität Zürich UZH, Anita Rauch, für das Amt gewinnen. Sie löst ab Januar 2020 Thierry Carrel, Direktor der Universitätsklinik für Herzchirurgie am Inselspital Bern ab.
Welches sind die Herausforderungen in der nächsten Zeit?
Unser Verein lebt von Gönnern und Sponsoren. Es ist immer wieder eine grosse Arbeit, das Geld zu erhalten, um die betroffenen Familien unterstützen zu können. Ein weiteres Ziel ist es, die Schaffung einer neuen Anlaufstelle. Die Familien wünschen sich immer wieder eine Bezugsperson, die an ihrer Seite steht. Im Kanton Wallis wurde eine entsprechende Ausbildung lanciert. Diese Ausbildung möchten ich in die Deutschschweiz bringen, damit sich Fachleute aber auch Eltern spezifisch ausbilden können, um Eltern begleiten zu können.
Das Gespräch führte Margrith Meier.