Noch heute schmerzen Karl Müller die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. In Altdorf hatte er damals als junger Bauer kranke Kühe zum Bahnhof gebracht, bevor sie in die grossen Schlachthäuser im Mittelland transportiert wurden. «Die Tiere gaben kaum mehr Milch, hatten Löcher in der Zunge, magerten ab und hatten Missgeburten». Rund 30 Kühe musste die Familie Müller notschlachten. Mehr als 14‘000 waren es im ganzen Kanton Uri. Für die Landwirtschaft war es eine Katastrophe. Es sollte mehrere Jahre dauern, bis sich der Viehbestand erholt hatte und der Imageschaden behoben war.
Nebelgranaten als Ursache
Ursache der Krankheit waren Manöver, welche die Armee mitten im «Réduit» ab Sommer 1940 mit Nebelgranaten abhielt. Der Rauch enthielt giftige, dem Dioxin ähnliche Substanzen, der Weiden und Futter verseuchte. Die Heeresleitung sah den Fehler rasch ein und entschädigte die betroffenen Landwirte nach marktüblichen Preisen.
Verseuchte Böden umgepflügt und in Äcker verwandelt
Bald sprach man im Kanton Uri nur noch von «Nebelkühen». Für den Urner Historiker Hans Stadler handelte es sich um einen veritablen «Dioxinskandal». Mancher Bauer habe getrauert um seine Tiere und wohl auch die Armee verflucht, meint der Verfasser der neusten Kantonsgeschichte. «Eigentlich muten die Ereignisse zynisch an: Es waren nicht fremde Heere, weder Deutsche noch Italiener, die uns am meisten geschadet haben, sondern die eigenen Truppen».
Über 7 Millionen Franken liess der Bund den betroffenen Landwirten auszahlen. Die verseuchten Flächen liess der Kanton Uri umpflügen. Die Aktion kam in der «Anbauschlacht» gelegen. Polnische Internierte halfen, Weiden in Ackerland zu verwandeln. Das Fleisch des notgeschlachteten Viehs landete in Konserven. Die Zensur verbot den Medien, über den Skandal zu berichten. Die übrig gebliebenen Nebelgranaten liess die Schweiz nach dem Krieg in der Nordsee versenken.