Es tönt beinahe wie ein medizinisches Wunder: Eine knapp 60-jährige Frau, die seit 20 Jahren eine Invalidenrente erhält, zieht in den Kanton Aargau – und ist plötzlich wieder gesund. Das sagten jedenfalls die Aargauer Behörden, welche der Frau nach ihrem Umzug die IV-Rente gestrichen hatten. Das «Wunder» wurde nun allerdings vom Bundesgericht korrigiert.
Seit 1998 erhielt Frau X. eine IV-Rente, zuerst eine ganze Rente, dann ab 2007 noch eine Dreiviertel-Rente. Noch im Jahr 2012 bestätigten die Gutachten zweier Ärzte und auch die Behörden im Kanton Basel-Landschaft, wo die Frau zu diesem Zeitpunkt schon lange wohnte, dass sie nach wie vor invalid ist deshalb Anspruch auf die Rente hat.
Aargauer Gutachter urteilen anders als Basler
Dann aber zog Frau X. in den Kanton Aargau, die Aargauer IV-Stelle überprüfte 2015 ihre Rente, zwei andere Ärzte fertigten im Auftrag der kantonalen Behörden neue Gutachten an. Und darin kommen die Medizinier zum wundersamen Schluss: Frau X. gehe es mittlerweile viel besser. Seit dem letzten Gutachten vor drei Jahren habe sie sich an ihre körperliche und psychische Behinderung gewöhnt. Deshalb könne die Frau, die seit 15 Jahren nicht mehr wirklich im Arbeitsmarkt war, wieder zu 80 Prozent arbeiten. Invalid sei sie so gut wie nicht mehr.
Gestützt auf die neuen Gutachten stricht die Aargauer IV-Stelle folglich Frau X. vollumfänglich ihre Rente. Dieser Entscheid wurde später auch vom Aargauer Versicherungsgericht bestätigt. Das Wunder war vollbracht: Aus Sicht der Behörden war die Frau nach ihrem Umzug vom Kanton Basel-Landschaft in den Aargau praktisch genesen.
Argumentation leuchtet Lausanner Richter nicht ein
Das Bundesgericht allerdings hält nicht viel von diesem «Wunder». Im Urteil, das am Dienstag publiziert wurde, rüffeln die obersten Richter die Aargauer Behörden. Sie geben Frau X. in vollem Umfang recht und sprechen ihr weiterhin ihre IV-Rente zu, wie die «Aargauer Zeitung» am Mittwoch berichtet.
Im Urteil des Bundesgerichtes ist zu lesen, es leuchte nicht ein, wie die Aargauer Behörden zum Schluss kommen, Frau X. sei sozusagen wieder gesund. Der Zustand der Frau habe sich nicht wesentlich verändert im Vergleich zur Situation am früheren Wohnort. Auch die beiden neuen Aargauer Gutachten könnten das nicht nachvollziehbar beweisen.
Und weiter: Es stimme zwar, dass die knapp 60-Jährige rein körperlich einer leichten Arbeit nachgehen könnte und bei ihrem Renten-Entscheid auch Probleme mit der deutschen Sprache und der Integration eine Rolle gespielt hätten. Das sei aber bereits im Kanton Basel-Landschaft der Fall gewesen. Es sei nicht richtig, dass die Aargauer Behörden denselben Sachverhalt anders beurteilten.
Das vermeintliche medizinische Wunder entpuppt sich also nach dem Urteil der obersten Schweizer Richter einfach als juristisch-administrative Zwängerei der Aargauer Behörden.