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Zürcher Frauen auf der Kanzel «Ich habe die Offenheit der Kirche als grosse Befreiung erlebt»

Vor hundert Jahren wurden mit Rosa Gutknecht und Elise Pfister in der Kirche St. Peter zum ersten Mal Frauen zu Pfarrerinnen der reformierten Kirche in Zürich ordiniert.

Daran gedenkt die reformierte Kirche dieses Wochenende mit verschiedenen Veranstaltungen. Den Festgottesdienst gestaltete auch Ingrid von Passavant mit. Sie war ab 1971 Pfarrerin in Oberengstringen. Und 1992 die erste Frau, die innerhalb der Zürcher Kirche eine Führungsposition innehatte.

Ingrid von Passavant

erste Dekanin in der Zürcher Kirche

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Geboren 1942 während des Zweiten Weltkriegs in West-Berlin, kam Ingrid von Passavant 1964 wegen ihres Studiums ein erstes Mal nach Zürich. Vier Jahre später kam sie der Liebe wegen zurück und heiratete 1970.

Ab 1971 bis zu ihrer Pensionierung 2006 war sie Pfarrerin in Oberengstringen. Im Jahr 1992 wurde sie zur ersten Dekanin im Kanton Zürich gewählt. Bis heute ist sie ausserdem Mitglied in der Synode, dem Kirchenparlament.

SRF News: Was bedeutet Ihnen dieses 100-Jahr-Jubiläum der Frauenordination?

Ingrid von Passavant: Ich habe erst einmal gestaunt, als ich davon erfuhr. Gleichzeitig hat es mich darin bestätigt, dass ich die reformierte Kirche hier immer für so offen gehalten und auch so erlebt habe. In Berlin, wo ich ja herkomme, war die Kirche in ihren Strukturen noch sehr hierarchisch. Da habe ich die Kirche hier in der Schweiz mit ihrer Offenheit und den demokratischen Strukturen als grosse Befreiung empfunden und es war für mich einfach toll, dass ich dazu gehöre.

Bis Frauen im Kanton Zürich offiziell ein Pfarramt antreten konnten, dauerte es aber wegen gesetzlicher Vorschriften nochmals ein halbes Jahrhundert, bis Anfang der 60er-Jahre. Sie wurden 1971 Pfarrerin in der Gemeinde Oberengstringen. Wie stark waren sie als Frau in dieser Funktion noch immer eine Exotin?

Es gab Leute in der Gemeinde, die hellbegeistert waren, dass erstmals eine Frau kommt. Ich hatte aber auch den Bonus der jungen Frau, ich konnte damals in der Jugendarbeit viel aufbauen, etwa eine Theatergruppe bilden oder bin mit den Jugendlichen nach Berlin gereist. Es herrschte eine ernorme Aufbruchstimmung und war alles in allem sehr positiv.

Dass Sie 1992 dann den nächsten Schritt gemacht haben und sich zur Wahl als Dekanin des Bezirks Dietikon stellten, wie selbstverständlich war das?

Ich war schon seit 1985 Vizedekanin, meine männlichen Pfarrkollegen im Bezirk hatten mich damals angefragt. Und da war es fast logisch, dass ich danach Dekanin werde.

Sie waren dann die einzige Frau, die als Dekanin einen Bezirk leitete. Woran liegt es, dass auch heute noch nur wenige Frauen in leitenden Funktionen der reformierten Kirche anzutreffen sind, wollen die Frauen einfach nicht?

Ich kann das nicht genau sagen. Ich habe schon auch von Frauen gehört, dass sie es sich genau überlegt haben, ob sie diese Verantwortung übernehmen können und für sich zum Schluss gekommen sind, dass das zu viel für sie wäre. Vielfach müssen sich die Frauen ja auch noch um die Familie kümmern. Ich war als kinderlose Frau in einer anderen Situation und konnte mich da voll einsetzen.

Dann spielte sicher auch meine Biographie eine Rolle: in der Nachkriegszeit mussten die Frauen – ob sie wollten oder nicht – die Arbeit und Ämter übernehmen und so wurde für mich selbstverständlich, dass eine Frau das kann und wenn sie Verantwortung übernimmt, dass sie das auch schafft. Und da weiss ich einfach nicht, ob dieses Selbstverständnis in der Schweiz einfach erst später eingesetzt hat.

Das Gespräch führte Dorotea Simeon.

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