1828 sprachlos in Nürnberg aufgetaucht, später ermordet: Das ist «Die Geschichte von Kaspar Hauser». Eine ideale Vorlage für den lettischen Regisseur Alvis Hermanis, dessen Inszenierung am Samstag in der Schiffbau-Box Premiere hatte.
Schwarz die Bühnenfläche, in der Mitte ganz mit sich beschäftigt ein schneeweisses Pony. Links an der Wand vier Klaviere, rechts ein Sandkasten - den Traumraum hat Regisseur Alvis Hermanis selbst für seinen «Kaspar Hauser» entworfen.
Der Unbekannte aus dem Sandhaufen
Schwarz gekleidete Figuren aus der Biedermeierzeit stellen sich hin, setzen Hüte mit gesichtverdeckenden Schleiern auf. Am Klavier ertönt Claude Debussys «Des pas sur la neige». Ein kleinwüchsiger Fremder tritt auf, geht zum Sandkasten und buddelt einen Menschen aus: Kaspar Hauser, ungelenk, kaum fähig zu stehen und zu gehen.
Der Kleinwüchsige führt das Pony zum Futtertrog beim Sandkasten; dem Kaspar Hauser aber übergibt er einen Zettel mit dessen Namen drauf. Und verabschiedet sich mit den Worten: «Machs gut.» So tauchte der Findling 1828 in Nürnberg auf, berichtet nun die Pianistin. Und alles weitere wird dem Publikum von da an in tiefsinnigen, aber auch lustigen Geschichten vorgeführt.
Der Vorhang im hinteren Bühnenteil öffnet sich, zum Vorschein kommt eine liebevoll eingerichtete Biedermeierstube. Hier findet Kaspar Aufnahme bei Professor Daumer und wird von ihm, vom Arzt, vom Bürgermeister und deren Frauen zivilisiert.
Die Kleinen und der Riese
Der Regie-Clou von Alvis Hermanis ist nun: Die zeitgerecht geschminkten und kostümierten Biedermeier-Bürger werden souverän gespielt von Kindern. «Erwachsene» Schauspieler leihen ihnen die Stimme und führen sie wie Puppen. Kaspar wird so zum Riesen, der kaum durch die für ihn zu niedrige Türe in den kleinen Salon der kleinen Bürger einzutreten vermag.
Kaspar macht beachtliche Fortschritte, kontert schliesslich aber den pädagogischen Furor mit beissenden «warum»-Fragen: «Warum ist die Wirklichkeit nicht die Wahrheit?» Als der Fremde wieder auftaucht, beginnt Kaspar zu halluzinieren, die Biedermeiermenschen verlieren die Geduld mit ihm. Bis er sich zum Sterben hinlegt: im Sandkasten.