Ein schlichtes Medaillon am «Haus zur weissen Lilie» erinnert im Zürcher Niederdorf an den geschichtsträchtigen Moment: Am 5. Februar 1916 hoben Emigranten im ersten Stock das legendäre «Cabaret Voltaire» aus der Taufe. An diesem Ort lebten im 13. Jahrhundert noch Handwerker. In der Renaissance verschönerten gutbetuchte Bürger die Liegenschaft. Zeitweise wohnte ein Gelehrter namens Pelikan unter diesem Dach.
Im 19. Jahrhundert verwandelte sich das Niederdorf immer mehr in ein Viertel für Arbeiter, Studenten und Intellektuelle. Die Spiegelgasse 1 beherbergte zu dieser Zeit ein Restaurant, das «Holländerstübli». Dieses entwickelte im Ersten Weltkrieg zu einem beliebten Künstlertreff. Für wenige Monate schlug hier 1916 das Herz von Dada.
Architektonische Collage
Der Keller ist bis heute von mittelalterlichen Spitzbögen überwölbt. Im Dachhimmel sind die Namen berühmter Dada-Grössen verewigt, die nach dem Ersten Weltkrieg von Zürich aus ihre Visionen in alle Welt trugen. Ursprünglich hatte das Haus aus zwei Teilen bestanden, wie ein Stadtplan von 1576 zeigt. Gusseiserne Treppengeländer lassen den erlesenen Geschmack der Herrschaften von anno dazumal erahnen.
Der Saal, wo ab Februar 1916 Dadaisten mit wilden Performances und «sinnlosen» Lautgedichten gegen Krieg und Konventionen protestierten, ist zwar nicht mehr original erhalten. Aber an den Wänden zeugen Fotografien, etwa von Hugo Ball im Bischofskostüm, von der revolutionären Aufbruchsstimmung.
Ein Grund, stolz zu sein
«Dada ist eine Sekunde im langen Leben dieses Hauses», erklärt Kunsthistorikerin Gabriela Blumer Kamp, «aber eine, die Weltgeschichte schrieb. Dada war die einzige internationale Kunstströmung, die von Zürich ausging. Darauf können wir stolz sein».