Paul Keller kann mehr als jede elektronische Wasserstandsanzeige. Er schätzt Messungen besser ein und relativiert sie auch wenn nötig.
So zum Beispiel an diesem stürmischen Morgen: Der starke Westwind führt dazu, dass der Pegel des Rheins ungefähr vier Zentimeter tiefer liegt, als es effektiv der Fall wäre. «Weil das Wasser in den Untersee zurückgedrückt wird», erklärt Keller.
Früher eine Arbeit der Frauen
Dreimal täglich liest der 75-Jährige die offizielle Wasserstandsanzeige vor seinem Haus in Stein am Rhein ab. Es ist das Haus, in dem schon in früheren Jahren die Pegelbeobachter und -beobachterinnen wohnten. «Meist waren es Frauen, die jeweils mittags um 12 Uhr den Pegel ablasen und der Schifffahrtsgesellschaft übermittelten», erzählt der pensionierte Feinmechaniker.
Man nennt ihn auch das «Rhein-Orakel»
Für ihn sind die Pegelbeobachtungen ein leidenschaftliches Hobby, für das er höchstens ein kleines Sackgeld bekommt. Keller führt akribisch Buch. Er beobachtet nicht nur den Wasserstand in Stein am Rhein, sondern übernimmt auch Daten anderer Pegelstationen am Untersee und Rhein. Seine historische Datensammlung reicht zurück bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts. Aus den Erfahrungswerten, verbunden mit den Schneemengen in den Bündner Alpen, leitet Keller dann Prognosen ab. Seine Einschätzungen, wie sich der Rheinpegel in den nächsten Wochen entwickeln dürfte, gibt er der Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein weiter. Dort bezeichnet man ihn deshalb auch als das «Rhein-Orakel».
(ster; Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 17.30 Uhr)