SRF News: Warum engagiert sich gerade Bolivien so für dieses Projekt?
Klaus Ehringfeld: Für Bolivien ist es ein Prestigeprojekt und die Chance, eine mehr als 150 Jahre alte Wunde zu heilen. Das Land verfügt – als eines von zwei Ländern in Südamerika – über keinen Meereszugang. Den hat es in einem Krieg im 19. Jahrhundert an Chile verloren. Seither muss Bolivien den Grossteil seiner Exporte über einen chilenischen Hafen verschiffen. Und das tut der nationalen Seele sehr weh.
Vor der Realisierung dieses technisch anspruchsvollen Projektes müssen noch eine ganze Reihe von Problemen überwunden werden ...
Es gilt, eine Schienentrasse von Brasilien über Bolivien nach Peru zu bauen. Durch drei Länder, über mehrere Klimazonen hinweg, Hoch- und Tiefland, Dschungel und Anden-Gipfel. Wir reden hier von einer Entfernung, die der von Moskau nach Madrid gleicht. Die Bauzeit ist dafür – mit sieben Jahren – ist sehr kurz bemessen.
Für den Bau favorisiert die Regierung in Bolivien ein schweizerisch-deutsches Konsortium. Steht diese Gruppe tatsächlich in der Pole-Position?
Eindeutig. Vor kurzem hat der Staatssekretär im deutschen Verkehrsministerium bei Präsident Evo Morales eine Absichtserklärung unterzeichnet. Mit dabei waren 40 Unternehmen aus der Schweiz und Deutschland – die Crème de la Crème aus den Bereichen Schienen- und Zugbau, Tunnelbau und Schwerindustrie.
Es gibt auch Konkurrenz-Angebote, zum Beispiel aus China. Wie chancenreich sind diese Angebote?
Das kann man schwer sagen, weil das ein Deal ist, über den China direkt mit Brasilien verhandelt. Bolivien ist bei dieser chinesischen Lösung aussen vor. Diese Strecke ginge direkt über Brasilien nach Peru, würde Bolivien links liegen lassen und dann gleich an den Pazifik anschliessen. Das Problem bei dieser Lösung: Die Strecke ist 1000 Kilometer länger, wäre gleichzeitig erheblich teurer und würde sehr viel vom Amazonas-Gebiet vernichten.
Ist die Finanzierung gesichert?
Nein, bisher haben alle Seiten ihren guten Willen bekundet. Viel mehr ist nicht passiert. Die Hauptlast müsste natürlich Bolivien tragen, weil es der grösste Interessent bei dem Projekt ist. Zugleich ist Bolivien aber auch das ärmste Land der Region. Wir reden hier von sieben bis 14 Milliarden Franken, die beschafft werden müssen. Die Deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau hat bereits gesagt, sie würden Kreditbürgschaften übernehmen. Damit alleine kann man aber ein solches Riesenprojekt nicht finanzieren.
Inwiefern ist Widerstand aus der Politik zu erwarten?
Das ist im Moment nicht absehbar. Südamerika und gerade die Region dort ist extrem problematisch, politisch und wirtschaftlich sehr instabil. Brasilien durchläuft eine grosse Krise, Bolivien ist wie gesagt das ärmste Land dort. Und die Präsidenten sind sich überhaupt nicht grün. Soweit man weiss, sprechen Morales und Temer nicht einmal miteinander. Wie da eine Einigung zustande kommen soll, ist mir noch nicht so richtig ersichtlich.
Dieser Traum von einer Verbindung zwischen den Ozeanen wird schon ziemlich lange geträumt. Wird der jetzt vielleicht doch noch wahr?
Ich würde mich sehr darüber freuen. Dieser Traum wird hier seit dem 18. Jahrhundert geträumt. In Zentralamerika, in Südamerika, in Mittelamerika – überall träumt man davon. Realisiert ist er bisher nur über den Panamakanal. Mit meiner mehrjährigen Erfahrung fürchte ich, dass dieses Projekt nicht schnell zustande kommt, wenn es dann überhaupt zustande kommt.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge