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Berufslehre im Wandel Berufe der Zukunft: Wie neue Lehren entstehen

Die Digitalisierung verändert den Arbeitsmarkt rasant. Neue Berufe entstehen aber nur langsam. Die Gründe.

An den Swiss Skills können Besucherinnen und Besucher dieses Jahr einen Beruf bestaunen, den es so noch gar nicht gibt: «Entwickler:in digitales Business» heisst er. Die entsprechende Berufslehre wird erst ab Sommer 2023 angeboten. Es ist eine Lehre, die direkt als Folge der Digitalisierung entstanden ist. Grosse Unternehmen wie die Post oder Swisscom suchen bereits Lernende.

Mit der Lehre sollen die Jugendlichen zu Digitalisierungsexperten werden.
Autor: Steven Walsh ICT Berufsbildung

«Entwicklerinnen und Entwickler digitales Business sind beispielsweise dafür verantwortlich, dass eine App für Benutzer einen Mehrwert generiert und dass die Bedienung auf den Nutzer ausgerichtet ist. Mit der Lehre sollen die Jugendlichen zu Digitalisierungsexperten werden», erläutert Steven Walsh.

Er ist Präsident der zuständigen Berufsentwicklungskommission beim Verband ICT Berufsbildung. Damit ist er federführend bei der Entwicklung des neuen Berufs. Dieser beinhaltet etwa auch Fragen, wie Daten zum Vorteil der Nutzerinnen verwendet werden.

Die Swiss Skills 2022

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  • Die Swiss Skills sind die zentralen Schweizer Berufsmeisterschaften. Sie finden dieses Jahr vom 7. bis 11. September in Bern statt.
  • Es ist nach 2014 und 2018 die dritte Ausgabe der Swiss Skills. Geplant war sie schon 2020, sie wurde coronabedingt aber auf 2022 verschoben.
  • An den Swiss Skills 2022 werden rund 150 Berufe präsentiert. 1150 Teilnehmende sind vor Ort. Die Veranstalter rechnen in den fünf Tagen mit rund 120'000 Besuchern.

Die erste Idee zur Lehre ist vor knapp zwei Jahren entstanden, erinnert sich Walsh. Anlass ist aber nicht die Corona-Pandemie mit der beschleunigten Digitalisierung gewesen. Vielmehr haben Gespräche mit Firmenvertreterinnen gezeigt, dass die Unternehmen schon heute Personen in diesen Jobs beschäftigen.

Das waren allerdings Mitarbeitende, die eigens umgeschult wurden. Mit der neuen Berufslehre erhoffen sich die Unternehmen mehr Nachwuchs im wachsenden Digitalisierungsfeld – gerade auch Berufseinsteiger.

Komplett neues Berufsbild: Eine Seltenheit

Die neue Berufslehre stellt aus zwei Gründen eine Seltenheit in der Schweizer Berufsbildungslandschaft dar: Einerseits dauert die Entwicklung einer neuen Lehre oft länger.

Andererseits ist es an sich ein Ausnahmefall, dass ein komplett neues Berufsbild entsteht. «Viel häufiger werden bestehende Lehren angepasst oder erweitert», erklärt Rolf Felser. Er ist Bereichsleiter am Zentrum für Berufsentwicklung an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB).

Der Lehrestellenmarkt im Jahr 2022

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Durchschnittlich zwei Drittel der Jugendlichen in der Schweiz entscheiden sich für eine berufliche Grundbildung. Rund 245 Berufe stehen zur Wahl.

  • Die drei meistgewählten beruflichen Grundbildungen 2021 waren Kaufmann/-frau, Fachmann/-frau Gesundheit und Detailhandelsfachmann/-frau. (Quelle: SBFI)
  • Laut Nahtstellenbarometer 2022, der jedes Jahr im Frühjahr und im August erhoben wird, hat es dieses Jahr ein neuer Beruf in die Top drei geschafft: Neu liegt Informatiker/-in auf Platz drei. (Quelle: Nahtstellenbarometer)
  • Die Berufswünsche der jungen Frauen und Männer unterscheiden sich: Bei jungen Frauen sind neben der Ausbildung zur Kauffrau medizinische oder soziale Berufe hoch im Kurs. Für junge Männer sind neben der Ausbildung zum Kaufmann vorwiegend technische Berufe attraktiv.
  • Nach Berechnung des Nahtstellenbarometers werden in der Schweiz 2022 knapp 77'000 Lehrstellen angeboten. Damit bewegt sich das Angebot in etwa im Bereich der Vorjahre.

In den letzten Jahren haben laut Felser vor allem Digitalisierung und Energiewende den Wandel vorangetrieben. Durch sie wurden die Inhalte vieler Berufslehren angepasst. Ein Beispiel: Neue Technologien wie Wärmepumpen haben die Arbeit von Heizungsinstallateuren stark verändert. Hier wurde die Ausbildung erweitert. So sehr, dass die Berufslehre nun vier statt drei Jahre dauert.

Intensive Vorabklärungen

In den einzelnen Branchen gibt es auch viele Ideen für komplett neue Berufe, weiss Rolf Felser. Die wenigsten Ideen enden jedoch in der konkreten Ausgestaltung einer Berufslehre. Denn auf diesem Weg gibt es hohe Hürden und viele beteiligte Stellen.

Wir wollen keine Arbeitslosen produzieren.
Autor: Rolf Felser Experte für Berufsentwicklung an der EHB

So braucht es schon diverse Vorarbeiten, damit die Idee für eine Berufslehre offiziell weiterverfolgt wird. Das beginnt manchmal schon bei der Gründung eines Berufsverbands.

Und geht weiter zu intensiver Abklärungsarbeit: «Es muss belegt sein, dass landesweit genug Firmen das Bedürfnis nach diesen Lernenden haben. Und es braucht langfristig einen Arbeitsmarkt, auf dem die Berufsleute dann auch eine Stelle finden. Schliesslich wollen wir keine Arbeitslosen produzieren», sagt Felser.

Hinzu kommt, dass Weiterbildungsmöglichkeiten für die Lernenden bestehen müssen. «Kein Abschluss ohne Anschluss» ist das Prinzip.

Nicht zuletzt wird dann eben geprüft, ob die gewünschten Fähigkeiten nicht in einem bereits bestehenden Beruf untergebracht werden können. Wenn all diese Abklärungen den Bedarf für eine neue Lehre aufzeigen, gibt der Bund grünes Licht – konkret das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Dann jedoch beginnt erst die Ausgestaltung der neuen Berufslehre.

Eine Dreiecksbeziehung

An diesem Punkt gibt es eine enge Zusammenarbeit von Bund, Kantonen und Berufsverbänden, sagt Experte Rolf Felser. «Grob gesagt, sind die Verbände für die Berufsinhalte zuständig. Der Bund schaut, dass der Beruf in die Bildungslandschaft passt, und dass die rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden. Die Kantone prüfen, ob und wie die Pläne umsetzbar sind.»

Dieser Verbund muss nun unzählige Fragen klären: Welche Fähigkeiten müssen die Lernenden erlernen? Was gehört in die Ausbildungsziele von Schulen und Betrieben? Welche Schulstandorte kommen infrage? Wie heisst die neue Berufslehre?

«Das ist insgesamt ein grosser Aufwand. Alles mit dem Ziel, dass die heutige Qualität in der Bildung aufrechterhalten bleibt», so Felser. Sind sich alle Beteiligten einig, erfolgt der letzte behördliche Akt: Das SBFI unterzeichnet die entsprechende Bildungsverordnung.

Die Ausgebildeten haben mit sehr hoher Sicherheit einen Platz auf dem Arbeitsmarkt.
Autor: Rolf Felser Experte für Berufsentwicklung an der EHB

Der grosse Aufwand erklärt, warum Neuerungen im Bereich der Berufslehre oft länger auf sich warten lassen. Länger als etwa an den Universitäten, welche teils in Eigenregie neue Studiengänge anbieten können. Experte Rolf Felser meint: «In weniger als einem Jahr ist die Entwicklung einer Lehre garantiert nicht möglich.» Gemäss seiner Erfahrung geht es von der ersten Idee bis zu den ersten Bildungsplänen etwa drei Jahre.  

Dennoch ist Felser überzeugt vom Verfahren: «In der Berufsbildung wird nur dann eine neue Ausbildung auf den Markt gebracht, wenn sie auch gefragt ist. Das ist der langsamere Weg. Dafür gibt es eine sehr hohe Sicherheit, dass die Ausgebildeten auf dem Arbeitsmarkt einen Platz haben.»

Knackpunkt Titelwahl

Diese Aussicht erhoffen sich auch die Treiber hinter der neuen Berufslehre «Entwickler:in digitales Business». Die Berufslehre hat fast alle Hürden genommen. Noch fehlt die vom Bund unterzeichnete Bildungsverordnung. Doch gemäss Steven Walsh, dem Präsidenten der zuständigen Kommission, wird die Bildungsverordnung diesen Herbst unterzeichnet, als Formalität.

Es ist alles andere als einfach, eine neue Lehre auf die Beine zu stellen.
Autor: Steven Walsh ICT Berufsbildung

Steven Walsh sagt rückblickend: «Es ist alles andere als einfach, eine neue Lehre auf die Beine zu stellen. Es gilt, eine grosse Population von Beteiligten ins Boot zu holen, von den Kantonen bis zur Wirtschaft.» Die vielen Beteiligten müssen sich aber nicht nur über Lerninhalte oder Inkraftsetzung einig sein, sondern auch über viele weitere Einzelheiten.

Walsh erwähnt hier als Knackpunkt die Titelwahl der neuen Berufslehre. «Der Titel wurde nicht einfach bei einem Kaffee am Morgen festgelegt. Das hat viele, viele Stunden gedauert.» Immerhin macht die Berufsbezeichnung einen Teil des Berufsimages aus. In der entsprechenden Arbeitsgruppe waren Schulen, Kantone und Firmen vertreten. Wie in einem Parlament sind dort etwa 20 mögliche Berufstitel diskutiert worden, erinnert sich Walsh.

Berufsbilder von A bis Z

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Frau als Glasbläserin
Legende: Die Berufswahl – ein wichtiger Schritt Junge Menschen schauen und informieren sich über verschiedene Berufe an einer Berufsmesse. Keystone / Gaetan Bally

Welche Lehre soll ich machen? Das ist für Jugendliche eine wichtige, aber oft keine leichte Entscheidung. SRF stellt Berufe vor und lässt Lernende einen Einblick in ihren Arbeitsalltag geben .

Zusätzlich wurde eine Schulklasse befragt. Und natürlich hat auch der Bund formale Vorgaben zum Berufstitel eingebracht. So kommt es, dass Jugendliche in den kommenden Tagen an den Swiss Skills den Beruf «Entwickler:in digitales Business» kennenlernen können. Einen Beruf, den es noch gar nicht offiziell gibt in der Schweiz.

Radio SRF 3, 5.9.2022, 8:45 Uhr

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