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Corona-Virus «Verschwörungstheorien um Viren sind selbst wie Viren»

Verschwörungstheoretische Ansätze zum Coronavirus verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Wir erklären warum.

Altbekanntes wird aufgewärmt

Es gibt viele Verschwörungstheorien, die den Ursprung des Coronavirus umranken. Manche glauben, es sei in den USA als Waffe gegen China entwickelt worden. Andere behaupten, die Chinesen hätten das Virus selbst entwickelt und es sei ihnen aus dem Labor entwichen. Und wieder andere sind überzeugt davon, dass eigentlich die Pharmaindustrie oder Milliardäre wie Bill Gates selbst dahintersteckt, um mit der folgenden Nachfrage an Medikamenten Millionen zu scheffeln.

Diese Ideen sind nicht neu. «Bereits 2002, 2003 beim SARS-Ausbruch, bei der Vogelgrippe, bei der Schweinegrippe. Es passiert immer das Gleiche. Wenn nicht alle Details bekannt sind, wenn Puzzleteile fehlen, kommen die wildesten Theorien auf», sagt Christian Griot, Virologe an der Universität Bern.

Prof. Christian Griot

Virologe

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Christian Griot ist als Virologe am Institut für Virologie und Immunologie der Universität Bern tätig, welches sich mit der Diagnostik und Überwachung von hoch ansteckenden Tierseuchen sowie mit der Problematik neuer Krankheiten befasst.

Unwissen kurbelt die Fantasie an

Das Coronavirus ist so spannender Stoff für Verschwörungstheoretiker, weil wir als Menschen den Ursprung oft nicht wirklich im Detail verstehen können, sagt Psychologe Dieter Sträuli. «Wir sind keine Spezialistinnen und Spezialisten. Aber es verängstigt uns alle, zumindest mild. Wir fragen uns, wann ist es bei mir?»

Menschen sehnen sich danach, insbesondere für Ungreifbares eine Erklärung zu finden, denn Unwissen schürt Angst. Wenn eine Sache aber zu gross oder komplex ist, um sie nachvollziehen zu können, ist es wesentlich simpler und angenehmer, sich eine scheinbar logische Erklärung auszudenken.

Verschwörungen sind selber «Viren»

Denn: Passiert etwas Katastrophales, was Angst und Wut auslöst, so müssen Schuldige her. Eine Person mit einem Gesicht und einem Namen kann man einordnen, im Gegensatz zu einer Ansammlung von Zufällen oder Mutationen. Dass dabei oft gerade reiche und mächtige Personen fiktiv zur Verantwortung gezogen werden, sei keineswegs ungewöhnlich, erklärt Dieter Sträuli. «Sie besitzen viel Macht und haben vielleicht bei anderen Gelegenheiten unethische Projekte unterstützt.» Der Gedankensprung zur absichtlichen Ausbreitung von Viren scheint dann nicht weit.

Verschwörungstheorien scheinen bei ihrer Entstehung gewissen Regeln zu folgen, welche denen von Viren gleichen. «Verschwörungstheorien gehen manchmal ‹viral›, erreichen also die Ausdehnung und Geschwindigkeit eines Virus. Sie ‹stecken uns an› und mutieren auch gelegentlich wie Viren», sagt Dieter Sträuli weiter. «Man hat das Gefühl, das Internet als moderne Verkörperung des Sprachsystems agiere selbständig.»

Dr. Dieter Sträuli

Psychologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter UZH

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Dieter Sträuli forscht an der Universität Zürich am Psychologischen Institut. Seine Forschungsschwerpunkte beinhalten moderne Mythen (UFOs, Verschwörungstheorien, Parawissenschaften), das Fantastische in Film und Literatur (Science Fiction, Horror, Theorie des Unheimlichen) sowie die Psychodynamik und Ideologien sektenartiger Gruppen.

Argumentieren oder ignorieren?

Wie geht man also am besten mit den Theorien und Verschwörungstheoretikern selbst um? «Gut zuhören und Gegenargumente aufzeigen hilft manchmal, aber wenn jemand 180 Grad das Gegenteil glaubt, bringen lange Diskussionen niemanden weiter», sagt Christian Griot.

Davon ist auch Dieter Sträuli überzeugt: «Mit Verschwörungstheoretikern zu diskutieren, ist sehr ermüdend. Wissenschaftliche Erklärungen sind oft nicht einfach zu verstehen und deshalb meist nicht zufriedenstellend. Verschwörungstheorien mit Wissen auszurotten ist also schwierig.»

Möchte man also die Ausbreitung von absurden Verschwörungstheorien eindämmen und sich dabei nicht auf stundenlange, frustrierende Argumentationen einlassen, hilft vor allem eines: Die ganze Sache einfach versanden lassen.

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