Dem Leben in der Schweiz auf der Spur – mit all seinen Widersprüchen und Fragen. Der Podcast «Input» liefert jede Woche eine Reportage zu den Themen, die Euch bewegen. Am Mittwoch um 15 Uhr als Podcast, sonntags ab 20 Uhr auf Radio SRF 3.
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Unsere Freundschaft: Brüni und ich kennen uns seit rund 20 Jahren. Er führte in St.Gallen eine Szenenbar, ich liebte diese Bar. Meist bis früh in die Morgenstunden hinein tanzend oder diskutierend mit Brüni. Was uns verbindet? Feiern, Essen, gute Musik und stets waren beide geplagt von Fernweh. Daraus ist eine Freundschaft gewachsen. Bis vor einem Jahr.
Lasst die Schwachen doch sterben.
Dann kam der Lockdown. Via Nachrichten fragten wir nach dem Befinden des anderen. Brüni schickte mir Videos mit umstrittenen Wissenschaftlern, stellt die Gefährlichkeit des Virus in Frage und schreibt weiter: «Lasst die Schwachen doch sterben». Dieser Satz erschütterte mich tief, sass sprachlos am Gartentisch, starrte auf mein Smartphone und antwortete dann: «Lass uns über etwas anderes reden. Wir sind mehr». Seither ist ein Jahr vergangen, ohne Kontakt.
Meine Haltung? Ich unterstütze die Schutzmassnahmen, vertraue der Wissenschaft und bin mir bewusst, dass man bezüglich Corona fast im Sekundentakt neue Erkenntnisse gewinnt. Das bringt Kursänderungen mit sich, die nehme ich hin.
Sind wir wirklich mehr?
Diese Frage stellte ich mir ein Jahr lang und verfolgte Brünis Timeline in den Social Media. Posts mit Musik-Clips oder Reisefotos wichen den Posts mit umstrittenen Corona-Experten. Diese wurden in den Kommentaren auch heftig diskutiert. Ich stieg nie mit ein. Aber ich merkte, Corona und der Umgang damit entfernte mich je länger je mehr von meinem Freund Brüni.
Ich kenne Meinungsverschiedenheiten unter Freunden, wenn es zum Beispiel um Abstimmungsvorlagen geht. Die können heftig ausfallen, schaden der Beziehung aber nicht. Was ist bei Corona-Diskussion anders?
Die Abstimmungsvorlage verpufft mit dem Urnengang. Die Pandemie hält an.
Treffen nach einem Jahr Funkstille
Brüni und ich wollen das bei einem Spaziergang herausfinden. Wir treffen uns. Ich würde eine Umarmung bekommen, würde ich sie wollen. Stattdessen ziehe ich eine Maske an, während dem ich ihm das Mikrofon anstecke. Wir lachen über diese Situation. Ein wohltuendes Lachen, es fühlt sich so gewohnt an, wie immer.
Gut eine Stunde spazieren wir durch Wil (SG). Wir haben abgemacht, dass wir über unsere Beziehung sprechen werden. Wir haben versagt. Immer wieder landen wir bei Corona, Zahlen und anderer Handhabe der Massnahmen.
Diese Pandemie macht Freundschaften so schwierig, weil man Stellung beziehen muss.
Beide werden emotional. Brüni kann meine Haltung besser verstehen als ich seine, bleibt entspannter. Ich unterstelle ihm Ignoranz. Wir sind uns einig, wir werden uns nie einig. So lange Corona unser Alltag bestimmt, wird es kein anderes Thema geben und somit auch uns nicht.
Trotzdem gehe ich an diesem Sonntag mit einer Erkenntnis weg von Wil. Das Gefühl beim Treffen stimmte, es war ein freundschaftliches Gefühl. Wir werden uns wieder als solche begegnen und uns wieder umarmen. Allerdings erst nach der Pandemie. Wie Psychoanalytiker Peter Schneider sagt, es gilt Stellung zu beziehen.
Der Satz «Lasst die Schwachen doch sterben» bleibt aber, welche Narben dieser hinterlassen wird, kann ich nicht sagen. Ich weiss nur, diese Freundschaft hält die Pandemie aus.