Basima (Name geändert) macht grosse Augen, als der SRF-Reporter sie fragt, warum sie nicht nach Syrien zurückkehrt. Ihre Antwort kommt blitzschnell, so als hätte sie dies schon unzählige Male erklären müssen: «Ich kann nicht, ich habe dort nichts mehr.»
Ihr Mann sei vor sechs Jahren nach Syrien zurückgereist, um die Pässe zu holen und um sich ein Bild der Lage zu machen. Seither ist er verschwunden. Basima vermutet eine Entführung. Heute lebt sie mit ihren drei Kindern allein in einem Flüchtlingscamp in Zahlé im Bekaa-Tal, nahe der syrischen Grenze.
Die Beeka-Ebene im Libanon
So wie Basima geht es vielen Geflüchteten, die nicht nach Syrien zurück wollen. Es fehle an Arbeitsplätzen, das Land habe sich noch immer nicht von den Kriegsjahren erholt und ihre Häuser sowie die gesamte Infrastruktur seien schlicht nicht mehr vorhanden.
Häufig bleiben Frauen und Kinder im Libanon, während Väter versuchen, in Syrien Arbeit zu finden. Manche kehren zurück, andere verschwinden – wie Basimas Mann.
Leben in prekären Verhältnissen
In der Bekaa-Ebene haben sich die meisten Geflüchteten aus Syrien niedergelassen. Die Zelte der rund 6000 Camps stehen auf privatem Grund. Die Familien müssen monatlich Miete an einen Grossgrundbesitzer bezahlen. Offizielle Stellplätze gibt es im Libanon nicht.
Wer eine staatliche Schule besuchen will, braucht entsprechende Papiere – die viele Geflüchtete nicht haben.
Ihr Geld verdienen die Familien grösstenteils mit Feldarbeit. «Die Gefahr ist gross, dass Kinder arbeiten müssen, denn Familien sind auf jede Einkunft angewiesen», sagt Islem Said. Sie ist Direktorin des Hilfswerks «Salam», das versucht, dem entgegenzuwirken.
Die Organisation betreibt eigene Schulen, gibt Kindern eine Tagesstruktur und damit ein Stück Alltag zurück. Dazu gehört auch psychologische Unterstützung: Sie lernen, ihre Gefühle auszudrücken und schwere Erlebnisse einzuordnen. «Diese Kinder haben viel Leid erfahren. Sie haben Krieg erlebt, sie mussten ihre Heimat verlassen – das hinterlässt Spuren», sagt Said.
Der Zugang zu öffentlichen Schulen bleibt für viele unerreichbar. Den Familien fehlt das Geld, und wer eine staatliche Schule besuchen will, braucht entsprechende Dokumente. «Diese Papiere haben viele Geflüchtete schlicht nicht», so Said.
Wachsende Fremdenfeindlichkeit
Gleichzeitig wächst der politische Druck auf eine baldige Rückkehr nach Syrien. Geflüchtete werden zunehmend für die wirtschaftliche Krise im Libanon verantwortlich gemacht und gelten als zusätzliche Belastung.
Laut Schätzungen sind etwa 100'000 Menschen aus dem Libanon nach Syrien zurückgekehrt – ähnlich viele sind wieder in den Libanon eingereist. Die politische Stimmung ist derart aufgeheizt, dass die Zahl der Rückkehrerinnen und Rückkehrer regelmässig instrumentalisiert wird. Der Staat kommuniziert deutlich höhere Rückkehrzahlen, um verschärfte Massnahmen zu rechtfertigen.
Der Libanon steckt seit 2019 in einer schweren Krise. Ausgelöst wurde sie durch jahrzehntelange Misswirtschaft, politische Blockaden und tief verankerte Korruption. Im Korruptionsindex von «Transparency International» gehört das Land heute zu den Staaten mit den höchsten Korruptionswerten weltweit.
Immer wieder kommt es zu Razzien in Flüchtlingslagern. Syrerinnen und Syrer werden auf offener Strasse angegriffen. Auch ihr Schutz gehört zur Arbeit des Hilfswerks «Salam».