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Ende der Alpsaison «Der schönste Tag im Jahr»: Besuch bei der Schafscheid in Jaun

Unter Jubel kehrten am letzten Montag hunderte Schafe von der Alp zurück – eine Tradition, die es in Jaun (FR) bereits seit 431 Jahren gibt. Ein Augenschein vor Ort.

Es war einmal im Bergdorf Jaun. Jeweils am Samstag vor dem eidgenössischen Betttag feierte man hier eine Tradition. Den Alpabzug. Da trieb man zuerst die Tiere ins Tal und gönnte sich danach ein Gläschen in der Beiz. Oder zwei.

Für uns ist es der schönste Tag im Jahr.
Autor: Stephan Buchs Hirte

Dem Pfarrer wurde das zu heiter. Respektive zu trist. Kaum je erschienen seine Schäfchen am Sonntag nach dem Alpabzug in der Kirche. Und so ordnete er an: «Der Schafscheid wird auf den Montag verschoben.» Die Jauner folgten ihm. Auch heute noch findet der Alpabzug am Montag statt. Leider.

Denn hätte der traditionelle Schafscheid dieses Jahr am Samstag stattgefunden – bei sommerlichen Temperaturen - es wäre ein Alpabzug wie aus dem Bilderbuch geworden. Doch «hätte – hätte – Fahrradkette». Am Montag regnete es in Strömen.

Auf der Alp ob Jaun ist es am frühen Morgen mucksmäuschenstill. Pflotschnasse Schafe, die stehen einfach nur da. Das Wetter scheint ihnen egal zu sein.

Alpabzüge – alles nur Show?

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Ältere Frau mit Brille lächelt in einem gemütlichen Esszimmer.
Legende: Ethnologin Isabelle Raboud war Direktorin des Regionalmuseums in Bulle (FR). SRF

Seit 2023 ist die Alpsaison offiziell als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Federführend bei der Bewerbung bei der Unesco war Volkskundlerin Isabelle Raboud.

SRF: Sind Alpabzüge heute nur noch Show?

Isabelle Raboud: Das waren sie immer schon. Die Älpler sind stolz, ihre Tiere zu präsentieren, die nach der Alpsaison schön fit sind. Es ist eine Anerkennung ihrer Arbeit. Doch seit rund 40 Jahren sind es zum Teil Grossanlässe mit viel Publikum.

Was sind die Herausforderungen?

Die Grösste ist es, das Publikum zu organisieren. Man muss Werbung machen, den Verkehr regeln, für Verpflegung, Toiletten und die Sicherheit sorgen. Das ist finanziell sehr aufwendig. Und es braucht viele Freiwillige, die helfen, wenn so viele Gäste an einem Tag in kleine Dörfer kommen.

Welche Rolle spielt das Publikum?

Es ist wichtig, dass die Besucher aus dem Unterland sehen, dass es diese Tiere gibt. Und Leute, die effektiv mit ihnen auf die Alp gehen. Bei den meisten organisierten Alpabzügen gibt es auch Spezialitätenmärkte. So lernen die Gäste diese Produkte schätzen. Dieser Kontakt, zwischen Älplern, Landwirtinnen und Kunden ist sehr wichtig.

Hat die Auszeichnung der Unesco diese Tradition aufgewertet?

Ja. Vor allem ist es eine Aufwertung der Menschen, die auf der Alp arbeiten, und für deren Produkte. Die Älplerinnen stehen im Zentrum aller Alptraditionen. Für diese ist klar: Nur für die Folklore können sie das nicht machen. Es reicht nicht, Kühe bloss als Touristenattraktion zu schmücken. Die Produkte der Alpsaison, also Fleisch, Milch und Käse, müssen sie auch anständig verkaufen können.

Die Akustik ändert sich jedoch abrupt. Hirte Stephan Buchs beginnt, seine 365 Tiere zusammenzutreiben. Klar hätte er sich anderes Wetter gewünscht. «Aber es ist und bleibt für uns der schönste Tag im Jahr.» Er sei immer erleichtert, wenn er die Schafe nach der Sömmerung heil den Eigentümern zurückgeben könne.

Früher hatten wir zehn Herden mit 2000 Schafen. Heute noch zwei.
Autor: Mario Buchs ehemaliger Hirte

Damit das heute klappt, wird er von der halben Verwandtschaft unterstützt. Mit Hirtenstöcken begleiten und leiten Helfer die Herde talwärts. Vor dem Dorf ein letzter Halt. Stephans Frau Annie Buchs hat mit Kolleginnen Blumen aus Papierservietten gebastelt. Die Schafe werden geschmückt.

Von einem Speaker werden die «Pempelìnì», wie sie den Schafen auf Jaundeutsch sagen, via Lautsprecher angekündigt. Zwei Schafherden werden bejubelt. Es sind circa 500 Tiere. Schaulustige unter Regenschirmen säumen die Dorfstrasse.

«Früher, in den 1960er-Jahren, hatten wir hier zehn Herden mit 2000 Schafen», erinnert sich der ehemalige Hirte Mario Buchs. Die Schafe wurden mit den Jahren weniger. Die auswärtigen Gäste dafür zahlreicher. Bis zu 6000 Besucher zählte man in vergangenen Jahren. Jaun hat 660 Einwohner.

Für die Gemeinde ist der Schafscheid ein Verlusttag.
Autor: Tanja Buchs Gemeinderätin

«Vieles sind Exil-Jaunerinnen und Heimweh-Jauner. Für den Schafscheid kommen sie zurück», weiss Tanja Buchs. «Das hat Tradition. Da trifft man sie alle wieder.» Sie ist als Gemeinderätin zuständig für die Organisation des Anlasses.

Genügend Freiwillige zu finden, sei die grösste Challenge gewesen. Und sie fügt hinzu: «Ja, es ist der schönste Tag im Jahr. Aber finanziell ist er für die Gemeinde ein Verlustgeschäft.» Anders sieht es für die Schafbesitzer aus.

Während manch Besucher bereits in einen Lammspiess beisst, findet am anderen Ende des Dorfes nun der eigentliche Schafscheid statt. Hirte Stephan und seine Helfer scheiden die Tiere. Heisst: Sie sortieren die Schafe und geben sie den Besitzern zurück.

Einzelne Schafe werden an der Leine in eine unscheinbare Garage geführt. Diese fungiert jeweils am Schafscheid Auktionshaus. Die Lämmer und Böcke werden gewogen, bewertet, verkauft. An Händler, Metzgereien und Wanderhirten. «Die Preise sind gut», berichtet Schafbesitzer Daniel Buchs. Bis zu 320 Franken gebe es heuer für ein Schaf.

Und all die anderen Schafe? Die stehen dicht an dicht in den Gattern an der Dorfstrasse. Pflotschnass. In Gedanken sind sie vielleicht noch auf der Alp. Dort, wo es so schön ruhig war. In Jaun aber, da wird jetzt zuerst noch ordentlich «gchilbenet». Es läuft Après-Ski-Musik. In die Kirche muss am Dienstag niemand.

Radio SRF 1, Treffpunkt, 22.9.2025, 10:03 Uhr

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