Plötzlich waren sie überall: am See, im Tram, in der Stadt und der Provinz - Junge Männer mit seitlich rasierten Haaren und Locken auf dem Kopf.
Ein kurzer Blick ins Internet bestätigt: Die Dauerwelle hat ein Comeback. «Die Dauerwelle ist der coole Herren Frisuren Trend für das Jahr 2020», heisst es zum Beispiel auf einer Schweizer Coiffeur-Seite. Und in dutzenden von YouTube-Videos zeigen junge Männer stolz, wie sie ihr gerades Haar in Locken verwandeln.
Die vielen Gesichter der Dauerwelle – eine YouTube-Bilderschau
Dazu gehören und individuell sein
Stellt sich die Frage: Wie kann so ein Trend heute noch entstehen? In den sozialen Medien hat doch jeder Geschmack seine eigene Nische gefunden und den passenden Trendsetter oder die passende Trendsetterin gleich dazu? Wie kann man sich in einer Welt, in der alle in ihrer ganz eigenen Blase zu leben scheinen, noch auf das Comeback der Dauerwelle einigen?
Die Antwort: Weil sich an den grundlegenden Mechanismen von Trends wenig geändert hat – trotz Individualisierung der Gesellschaft, trotz Digitalisierung und der ungeheuren Beschleunigung, die diese mit sich brachte.
Mit Dauerwelle gegen den Megatrend
«Unser Verhalten ist von zwei Mustern geprägt», weiss Karin Frick, die Forschungsleiterin des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI). «Einerseits wollen wir individuell sein und andererseits dazugehören. Das Bedürfnis, dazuzugehören, ist sehr viel grösser als das Bedürfnis, individuell zu sein.»
So können Megatrends entstehen wie zum Beispiel der zu Gesundheit und Natürlichkeit, zu dem sich die Dauerwelle als Gegentrend zeigt. Das sagt Bitten Stetter, die an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) die Forschung der Fachrichtung Trends & Identity leitet: «Bei der Dauerwelle geht es um absichtliche Künstlichkeit. Die junge Generation grenzt sich damit von ihren Eltern ab, die alle Yoga machen und ihre Haare nur mit Bio-Shampoo waschen.»
Die sechs Phasen eines Trends
Die Trendforscherin unterscheidet sechs Phasen, die ein Trend durchmacht: Es beginnt damit, dass Trendsetter oder Subkulturen einen neuen Trend lancieren. In der zweiten Phase wird der Trend von immer mehr Leuten adaptiert und massentauglich gemacht, bevor er in einer dritten Phase von den Medien aufgenommen und vom Markt erkannt wird.
In der vierten Phase kommt es zu einer kompletten Sättigung und darauf zur fünften Phase, in der ein Trend sich langsam verabschiedet, um schliesslich ganz zu verschwinden. Sollte der Trend später ein Comeback feiern, dann immer nur in veränderter Form. In den 80er-Jahren trugen die Hausfrauen oder die Anhänger der Jugendkultur Popper eine Dauerwelle. Heute sitzen Instagram-Influencerinnen und Hip-Hop-Stars mit Lockenwicklern im Haar beim Coiffeur.
Trends lassen sich nicht diktieren
Durchsetzen kann sich ein Trend aber nur, wenn er dem Bedürfnis einer bestimmten Gruppe oder der Gesellschaft als Ganzes entspricht. Diktieren lasse er sich nicht, weiss Karin Frick, die am GDI die Trends der Wirtschaft analysiert: «Kaum einem Brand gelingt es, eigenständig einen Trend zu setzen.»
Darum arbeitet die Wirtschaft lieber mit Trend-Spottern, die nach neu entstandenen Trends Ausschau halten. In der Hoffnung, rechtzeitig darauf aufsteigen zu können, wenn der Trend zum eigenen Produkt oder Image passt. Beim Comeback der Dauerwelle ist dieser Moment wohl schon vorbei. Spätestens mit Medienberichten wie diesem ist es in seiner dritten Phase angelangt und hat bald die Sättigung erreicht.