Zum Inhalt springen

«Impfnationalismus» Corona-Impfung: Braucht es mehr Solidarität mit armen Ländern?

Die reichen, westlichen Industrieländer, darunter auch die Schweiz, haben sich drei Viertel des weltweiten Impfstoffvorrats gesichert, obwohl sie nur rund 15 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen.

Während sich Industrieländer ein Vorkaufsrecht für Millionen Dosen gesichert haben, müssen die meisten Länder Afrikas wohl noch lange auf Impfstoffe warten und weiter an den Folgen der Pandemie leiden. Deshalb fordern immer mehr kirchliche und humanitäre Organisationen eine gerechtere Verteilung und prangern den grassierenden «Impfnationalismus» an.

«Bislang wurden 86 Prozent der Impfungen in reichen Ländern verabreicht und bloss ein Prozent in den ärmsten», sagt Katrin Zöfel, SRF-Wissenschaftsredaktorin.

Solidarität der Industrieländer?

Der Covid-Beauftragte der Weltgesundheitsorganisation WHO, David Nabarro, fordert deshalb einen Impfstopp, wenn ein Staat alle Menschen ab 50 Jahren geimpft habe. «Wir sollten diesen Weg nicht weitergehen, dass wenige Länder massenhaft impfen und ärmere Länder kaum an Impfstoff kommen», sagte Nabarro dem britischen Sender Sky. Das sei weder wirtschaftlich, sozial noch moralisch.

Damit alle schnell an die Impfung kommen, fordern ärmere Staaten eine Freigabe der Impfstoff-Patente.
Legende: Damit alle schnell an die Impfung kommen, fordern ärmere Staaten eine Freigabe der Impfstoff-Patente. Keystone

Das würde bedeuten: Keine Impfung für jüngere Gesunde in der Schweiz, solange der Krankenpfleger in Ecuador oder die 85-jährige in Kamerun nicht geschützt sind.

Für Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel keine gute Idee: Die Jungen hätten im letzten Jahr viel erduldet und solidarisch mitgetragen. Man dürfe diese Solidarität nicht überstrapazieren.

Solidarität der Pharmakonzerne?

Damit alle schnell an die Impfung kommen, fordern ärmere Staaten zudem eine Freigabe der Patente. Indien und Südafrika haben bei der Welthandelsorganisation WTO eine Anfrage zur Aussetzung der Patente gegen das Virus gestellt. Dies für die Dauer der Pandemie, bis eine weltweite Herdenimmunität erreicht ist. 100 Länder stimmten zu. Der Westen, darunter auch die Schweiz, blockt ab.

Die Gegner einer Patentfreigabe argumentieren, dass bereits alles Mögliche getan werde, um die Produktion anzukurbeln. Eine Aussetzung des Patentschutzes würde einzig zu Renditeeinbussen bei den Pharmakonzernen führen.

Kirchliche und humanitäre Organisationen fordern eine gerechtere Verteilung und prangern den grassierenden «Impfnationalismus» an.
Legende: Kirchliche und humanitäre Organisationen prangern den «Impfnationalismus» an. Keystone

«Wir sind der Überzeugung, dass die Aufhebung des Patentschutzes für die Bewältigung der aktuellen und auch künftiger Pandemien kontraproduktiv wäre», lässt das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum IGE verlauten.

«Wir sitzen alle im gleichen Boot»

Dabei befürchten die Hilfsorganisationen ein Eigengoal: Wenn sich das Virus in armen Ländern rasant vermehrt, kann es mehr Mutationen geben, gegen die die Impfstoffe weniger gut wirken. Die Nichtregierungsorganisation Public Eye mahnt: «Wir sind hier nur vor dem Virus geschützt, wenn alle Menschen überall auch geschützt sind.»

Was ist Ihre Meinung?

Ist es richtig, dass reiche Länder junge, gesunde Menschen impfen wollen, bevor in armen Ländern Gesundheitspersonal und Risikopersonen geimpft sind? Oder braucht es bei der Corona-Impfung dringend mehr Solidarität?

Gäste in der Sendung «Forum» auf Radio SRF 1

Box aufklappen Box zuklappen
  • Jürg Utzinger, Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts und Professor für Epidemiologie
  • Ruth Humbel, Gesundheitspolitikerin und Präsidentin der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit SGK im Nationalrat

Radio SRF 1, Sendung «Forum», 15.4.2021, 20 Uhr

Meistgelesene Artikel