«IQ sinkt seit Jahren» titelte Focus, «Intelligenz-Höhepunkt erreicht» der Deutschlandfunk und Arte fragte: «Werden wir immer dümmer?»
Eine Studie von 2018 sorgt noch immer für Aufruhr. Sie kam zum Ergebnis, dass der IQ bei norwegischen Rekruten im Vergleich zu früheren Generationen nicht nur stagniere, sondern gar sinke. Laut Intelligenzforscher Jakob Pietschnig sei es aber verfehlt, deswegen von einer generellen Abnahme der Intelligenz zu sprechen.
Jakob Pietschnig
Intelligenzforscher
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Jakob Pietschnig ist Psychologe und forscht an der Universität Wien über die menschliche Intelligenz. 2021 erschien sein Buch «Intelligenz – Wie klug sind wir wirklich». Der Psychologe widmet sich darin Fragen wie «Was ist eigentlich Intelligenz?», «Wie misst man sie?» und «was sagen die Ergebnisse sogenannter IQ-Tests tatsächlch aus?».
SRF: Stimmt es, dass unsere Intelligenz sinkt?
Jakob Pietschnig: Die Aussage «wir werden alle dümmer» ist unseriös.
Was ist Intelligenz überhaupt?
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«Intelligenz ist etwas, das liegt an der Schnittmenge von Begabung, Klugheit und Weisheit». So definiert es Intelligenzforscher Jakob Pietschig, und ergänzt: «Es ist eine allgemeine geistige Fähigkeit, die unter anderem die Begabung Schlussfolgerungen zu ziehen, zu planen, Probleme zu lösen, abstrakt zu denken und schnell aus Erfahrungen zu lernen, beinhaltet.»
Intelligenz sei also kein einfaches Buchwissen oder eng umgrenzte Test-Schlauheit, sondern eine grundlegende Fähigkeit von Menschen, mit der Umwelt erfolgreich umzugehen.
Aber die konnte man in den vergangenen Jahren verschiedentlich lesen?
Diese Titel beziehen sich auf einzelne Studien, die einen Anti-Flynn-Effekt festgestellt haben. Was heisst das? Bis weit ins 20. Jahrhundert konnte man beobachten, dass der IQ international gestiegen ist. Seit den 1980er Jahren ist dann eine Verlangsamung aufgefallen und nun gibt es erste Zeugnisse dafür, dass einige Länder eine Umkehr des Flynn-Effekts zeigen.
Also doch?
Nein. Die Erkenntnisse sprechen dafür, dass der Effekt unbeständig wird. Er betrifft auch nicht alle Domänen. In Österreich zum Beispiel sah man nur einen sinkenden IQ bei der Raumvorstellung. Ich denke, es ist verfehlt von einer Abnahme des IQs international zu sprechen.
Was ist der Flynn-Effekt?
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Der Politikwissenschaftler James Flynn stellte 1984 fest, dass die Resultate von IQ-Tests in Industrieländern über die Jahre im Durschnitt ständig anstiegen. Pro Jahrzehnt legten die IQ-Werte um etwa drei IQ-Punkte zu. Diesen sogenannten Flynn-Effekt erklärten sich die einen Wissenschaftler damit, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessert hätten, zum Beispiel die Bildung, die Ernährung und die Gesundheitsversorgung. Andere vermuteten genetische Ursachen. Wegen der Urbanisierung und der höheren Mobilität hätten sich zuvor getrennte Bevölkerungsteile stärker gemischt.
Was ist der Anti-Flynn-Effekt?
Der stetige Zuwachs hielt aber nur bis in die 1990er Jahre an. Dann begannen sich die Zuwächse einzubremsen oder stagnierten. In einigen Studien wurde mittlerweile gar festgestellt, dass IQ-Werte in gewissen Ländern wieder sinken, dass es also zu einer Umkehr des Effekts gekommen sei.
Das Abbremsen habe man global beobachten können, die Umkehr sei aber noch sehr uneinheitlich und es seien auch nicht alle Domänen der Intelligenz betroffen, erklärt Intelligenzforscher Jakob Pietschnig gegenüber Radio SRF.
Aber es macht Angst. Was kann man aus solchen Erkenntnissen schliessen?
Angst haben muss man nicht. Man muss sich vor Augen halten, was sich hier potenziell umkehrt.
Sind es unsere geistigen Fähigkeiten?
Ich vergleiche es gerne mit einem Zehnkampf, da gibt es verschiedene Disziplinen: Sprint, Speerwurf, Hochsprung et cetera. Möchte ein Athlet besser werden, könnte er anfangen eine Disziplin, zum Beispiel den Weitsprung, vermehrt zu trainieren. Seine Gesamtleistung steigt.
Nein, wir werden nicht dümmer.
Sie steigt aber nur solange, bis der Athlet durch vermehrtes Training nur noch eine relativ kleine Zunahme der Leistung erreicht, also relativ wenig zusätzliche Punkte erhält, weil er gleichzeitig die anderen Disziplinen vernachlässigt hat.
Und übersetzt auf die Intelligenz bedeutet das?
Er ist kein schlechterer Athlet. Er ist jetzt einfach ein Spezialist. Und genauso sollten wir das mit den kognitiven Fähigkeiten auch sehen. Eine Umkehr des Flynn-Effekts heisst nicht, dass wir alle dumm werden, sondern, dass unsere Fähigkeiten anders benötigt werden.
Wir müssen uns also keine Sorgen machen?
Ich wäre da nicht zu pessimistisch. Sorgen müssten wir uns erst machen, wenn wir nicht mal mehr darüber sprechen könnten, was jemand anderes macht, wenn wir nicht mehr interdisziplinär arbeiten könnten. Das wäre der Zeitpunkt, die Notbremse zu ziehen. Davon sind wir weit entfernt.
Haben wir überhaupt Einfluss auf unsere Intelligenz?
Wenn, dann nur in der Kindheit und Jugend. Beim schlussfolgernden Denken ist relativ schnell Schluss. Den Zenit erreicht man mit circa 20 Jahren.
Hat das Smartphone einen Einfluss auf die Intelligenz?
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Grundsätzlich könne man nicht pauschal sagen, dass die Digitalisierung und moderne Medien verantwortlich dafür wären, dass unsere kognitiven Fähigkeiten abnehmen würden.
Wir Menschen seien kognitiv flexibel und wir würden uns erstaunlich gut an unsere Umwelt anpassen, sagt Intelligenzforscher Jakob Pietschnig. Und das geschah und geschehe auch jetzt mit der Digitalisierung.
Es sei heute nicht mehr wichtig zu wissen, wie die Hauptstadt von Burkina Faso heisst, solange man wisse, wo man die Informationen zuverlässig erhalten kann.
Und die Reizüberflutung?
Darüber müsse man sich nicht zu viele Sorgen machen, zumindest was die Intelligenz anbelangt. Das ständige Blinken des Bildschirms beeinflusse höchstens unsere Aufmerksamkeitsprozesse und die sind dann dafür verantwortlich, dass wir nicht mehr die kognitiven Fähigkeiten zeigen, die wir eigentlich hätten.
Sie haben also keinen direkten Einfluss auf die Intelligenz, aber vielleicht darauf, wie intelligent wir uns fühlen.
Und welche Faktoren beeinflussen unsere Intelligenz?
Die Intelligenz setzt sich aus Anlage- und Umweltkomponenten zusammen. Ersteres ist unser genetisches Make-up und die Umwelt, das sind die Schule, das soziale Umfeld und dergleichen. Die braucht man, damit man seine genetischen Ressourcen entfalten kann.
Wie verhalten sich die Komponenten?
Egal wie gut die Gene sind, die jemand in sich trägt, es braucht eine fördernde Umwelt, damit man diese Ressourcen entfalten kann. Das bedeutet: In einer egalitären Gesellschaft, in der alle die gleichen Chancen erhalten, könnte man alle Intelligenzunterschiede auf die Gene zurückführen.
Das Gespräch führte Fabio Flepp.
Radio SRF 1, Montag 3. Oktober, Morgengast 7.15 Uhr
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