Die Marktfrau mit gelben Plastikhandschuhen fragt: «Willst du probieren?» Auf ihrer Hand liegt etwas, das wie eine schwammige, rötlich-stachelige Handgranate aussieht – Menogge, auch bekannt als See-Ananas oder Halocynthia roretzi. Ohne auf eine Antwort zu warten, reicht sie mir ein glitschiges Tellerchen über den Tresen. Sie behauptet, es sei gut für alte Menschen ohne Appetit und auch für die Potenz. Aber solche Aussagen hört man immer über Dinge, die besser nicht gegessen werden sollten.
Alles wird süsser
Menogge ist eine Delikatesse in Korea, die in seichten Meeresgewässern und an Klippen wächst oder in Japan und Korea in grossem Stil gezüchtet wird. Roh hat es einen einzigartig intensiven Geschmack nach Jod, Erde, Meer und Algen, mit einer leichten Süsse. Es wäre perfekt mit einem Schluck Reiswein, obwohl es erst zehn Uhr morgens ist. Der Markt ist lebendig, die Marktfrauen – oft seit Generationen in Frauenhand – decken ihre Stände ab und es herrscht reges Treiben. Die Marktfrau meinte, dass alles, was man nach dem Genuss von Menogge isst, leicht süsser schmeckt. Wir werden weiter in den Bauch des legendären Marktes geschwemmt.
Der Markt im Bild
Auch gut für die Potenz
In kleinen Becherchen, frisch in heissem Wasser aufgebrüht, darf man sie probieren und bevor ich das tue, vergewissere ich mich noch, ob sie auch wirklich gut für die Potenz sind und siehe da: gut für die Potenz! Seidenraupen. Zu tausenden werden sie angeboten, in riesigen Netzkissen. Protein. Nussig im Geschmack, eine gute Sache, wenn man sich vor nichts ekelt. Auffallend reichhaltig sind im Frühling die Gemüsestände. Wildkräuter. Wurzeln. Berggemüse. Triebe, Knospen und Laucharten, von denen man anderswo nur träumen kann. Diese Vielfalt, dieser Reichtum und auch der verbreitete Buddhismus haben in Korea dafür gesorgt, dass die vegane oder zumindest die vegetarische Küche unvergleichlich abwechslungsreich ist.
Fermentation
Natürlich gibt es Kimchi aus allem Erdenklichen, denn das fermentierte Gemüse ist und bleibt Koreas Nationalbeilage. Man stopft es in Dumplings, die asiatische Version von Ravioli, man hackt es in Mungobohnenpuffer, die auf dem Markt schwimmend im Fett ausgebacken und frisch verzehrt werden, oder man isst es einfach so, weil es zu allem passt. Fermentation spielt auch auf dem Kwangjang-Markt eine tragende Rolle und selbstverständlich sind auch die roh in Sojasauce eingelegten, bläulich schimmernden Krabben, die mit einer Haushaltsschere aufgeschnitten werden und mit Handschuhen direkt vor Ort und im Stehen probiert werden können, nicht nur glitschig im Inneren, sondern auch gut für die Potenz. Genau wie die in Chili marinierten Oktopus-Tentakeln. Oder das Gekröse und die Rogen des Alaska-Pollacks. Ich bin begeistert. Von den Waffelgebäcken, vom Reiskuchen, an dem man ersticken könnte. Von der Frische, der Freundlichkeit und auch von der Organisation, die hier herrscht. Alles ist gut und man könne vom Boden essen. Oder an einem Marktstand. Insgesamt soll es hier über 5000 Geschäfte geben. Zeit fürs Mittagessen. Etwas tun für die Potenz? Dann käme der lebendige Oktopus, den man sich ganz in den Mund stopft, gerade recht. Vielen Dank. Ich verzichte. Sogar bei mir hat alles seine Grenzen.