Ich bekam in Rumänien vor der Wahl die Gelegenheit zu einem langen Interview mit dem Sozialistenparteichef Liviu Dragnea. Am Ende eines langen, eher zähen Gesprächs sprach er frei von der Leber weg und sagte, er möge nicht mehr über Korruption und solchen «Bullshit» reden, sondern über die echten Probleme seines Landes und die Reformen seiner Partei.
Tja, und dann gewann seine Partei die Wahlen triumphal. Und nutzte die Mehrheit aus und versuchte sogleich per Notverordnung, korrupte Politiker aus dem Knast zu holen und Korruption in manchen Fällen zu entkriminalisieren.
Ich setzte den Ton, in dem Dragnea Korruption als «Bullshit-Thema» bezeichnete, nochmals ein. Jetzt wurden rumänische Journalisten aufmerksam. Dragnea sagte in einem Interview, das sei ein falsches, manipuliertes Zitat. Worauf ich das unedierte Tonstück per Twitter und Facebook ins Netz stellte. Es wurde einige hunderttausendmal angeklickt. Ich konnte mich vor Freundschaftsanfragen nicht mehr erwehren. An den Demonstrationen in Rumänien gegen die Pläne der Regierung vor einem Jahr tauchten unzählige No-more-Bullshit-Plakate auf.
Was ist daran interessant? Dass SRF den demokratischen Protest ein klein wenig mitgestaltet hat. Dass SRF die Gelegenheit zu einem kritischen Interview genutzt hat – eine seltene Gelegenheit in mittelosteuropäischen Ländern. Dass Dragnea das Interview gab, war überraschend. Meist weichen die Politker in den mittelosteuropäischen Ländern solchen Situationen aus. Dass also Information in beide Richtungen floss: über die politische Klasse Rumäniens in die Schweiz – und über das Schweizer Medienselbstverständnis nach Rumänien.