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Kriminalstatistik 2023 Häusliche Gewalt: Warum auch die Arbeit mit Tätern wichtig ist

Die Kriminalstatistik 2023 zeigt, dass häusliche Gewalt in der Schweiz nach wie vor stark verbreitet ist. Eine Beratungsstelle in Chur befasst sich nicht mit Opfern, sondern mit Täterinnen und Tätern. Ein Teilnehmer erzählt.

Es geht um Macht, Kontrolle oder darum, sich Vorteile aller Art zu verschaffen. Gewalt in Familien oder Beziehungen ist in der Schweiz kaum rückläufig, wie die Kriminalstatistik 2023 des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigt.

Gesamthaft wurden 19'918 Straftaten registriert – ähnlich wie in den vergangenen Jahren. Die Palette reicht von sexuellen Handlungen über Beschimpfungen, Tätlichkeiten bis zu Tötungsdelikten durch aktuelle oder ehemalige Partnerinnen und Partner.

Häusliche Gewalt 2023 in Zahlen

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  • Straftaten insgesamt: 19'918 Fälle.
  • Häufigste Straftaten: Tätlichkeiten (6378), Drohungen (4090), Beschimpfungen (3807), einfache Körperverletzungen (2045).
  • Tötungsdelikte: 16 Tötungen innerhalb Partnerschaften oder durch Ex-Partner/-Partnerin (14 Frauen/2 Männer). Dazu kamen 9 Tötungsdelikte in Familien-/Verwandtschaftsbeziehung (4 Kinder, 5 Erwachsene).
  • Schwere Körperverletzungen (147) und Vergewaltigungen (368) haben im Vergleich zum Vorjahr um rund 20 Prozent zugenommen.

Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 2023 , Bundesamt für Statistik

Inzwischen gibt es aber nicht nur Anlaufstellen für Opfer, sondern auch zahlreiche Anlaufstellen für Täterinnen und Täter oder potenziell Gewalt ausübende Personen . Programme, die dazu da sind, Übergriffe zu verhindern.

«Manche Täter werden von ihrer Frau zu uns geschickt»

Roman Grenal arbeitet in der Beratungsstelle für Gewalt ausübende Personen in Chur. Das kostenlose Angebot besteht seit 2008. Ziel ist es, Kompetenzen zu vermitteln, damit es daheim eben nicht zu Gewalt kommt. «Unsere Einzelberatung erstreckt sich über 16 bis 20 Termine», sagt Grenal. «Meistens beraten wir Männer – hin und wieder melden sich aber auch Frauen bei uns.»

Ein gewaltausübender Mann steht vor dem Bett, Frau liegt unter der Decke und weint.
Legende: Ziel der Beratung ist es, in schwierigen Situationen gewaltfrei reagieren zu können. Keystone/Luis Berg

Die Gründe für häusliche Gewalt sind vielfältig. Meist geht es um grosse Gefühle. «Aus der grossen Liebe wird die grosse Enttäuschung. Es gibt Differenzen, Sticheleien – bis es eskaliert.» Auch die Überforderung im Zusammenhang mit Kindern mündet in gewissen Fällen in Gewalt, wie der Fall von Beat* (41) zeigt.

Viele Formen häuslicher Gewalt

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Körperliche Gewalt : Von der Ohrfeige über Stossen, Schütteln, Festhalten, Beissen, Treten, Würgen, Zwicken, Schlägen aller Art bis zur schweren Körperverletzung, Tötung oder einem Mordversuch – die Palette physischer Übergriffe ist äusserst breit. Besonders schwere Fälle sind oft an sichtbaren Zeichen wie Wunden, Verbrennungen, blauen Flecken oder Brüchen zu erkennen.

Sexuelle Gewalt : Umfasst sämtliche sexuellen Handlungen, die nicht einvernehmlich geschehen. Beispiele sind sexuelle Nötigung, Vergewaltigung oder der Zwang zur Prostitution.

Psychische Gewalt : Dabei geht es unter anderem um Verhaltensweisen und Strategien, um das Gegenüber unter Druck zu setzen, zu demütigen, beleidigen, einzuschüchtern, zu isolieren, erpressen oder zu bedrohen. Auch Stalking und Verleumdung, wie das Verbreiten von Lügen, gehört zur psychischen Gewaltausübung.

Wirtschaftliche Gewalt : Umschreibt ein Arbeitsverbot oder den Zwang zum Lohnerwerb. Beschlagnahmung oder alleinige Verfügung über Einkommen und Konten gehören ebenfalls dazu.

Bei sämtlichen Gewaltformen geht es meist um Machtausübung sowie Kontrolle oder um sich Vorteile aller Art zu verschaffen.

Beat hat drei Kinder im Alter zwischen fünf und zehn Jahren. Er und seine Partnerin waren oft überfordert, beispielsweise wenn sich die Kinder stritten. «Ich habe meinen Kindern gegenüber verschiedentlich Gewalt angewendet», sagt er. Ins Ohr zwicken, an den Haaren packen, Schläge auf Po und Beine, Klaps ins Gesicht. «Dank der Beratung habe ich gemerkt, dass ich einige Verhaltensmuster verändern muss.»

Jede Eskalation, die dadurch verhindert wird, ist ein Schritt in einen glücklicheren Alltag.
Autor: Beat Teilnehmer Beratungsstelle Chur

So hat er gelernt, sich nicht mehr in jeder Situation durchsetzen zu müssen und die Perspektive der Kinder einzunehmen. «Ich empfehle das Programm definitiv weiter. Jede Eskalation, die dadurch verhindert wird, ist ein Schritt in einen glücklicheren Alltag.»

Wer sein Gewaltproblem erkennt, kann etwas ändern

Beat hat freiwillig am Programm in Chur teilgenommen. Andere Teilnehmende vermittelt die Polizei oder die KESB, die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, als Massnahme an die Beratungsstelle.

In einem ersten Schritt geht es darum, das eigene Verhalten zu verstehen. «Nur wer sein Problem erkennen möchte, kann auch etwas daran ändern», sagt Roman Grenal. Weitere Beratungsschritte beinhalten das Erarbeiten von Kompetenzen, um in schwierigen Situationen gewaltfrei zu reagieren.

Kinderfüsse ragen unter einem Bett hervor. Das Kind versteckt sich vor möglicher Gewalt durch Bezugspersonen.
Legende: 2023 starben vier Kinder durch Gewalt in der Familie oder Verwandtschaft. Keystone/CHRISTOF SCHUERPF

Dazu braucht es eine Art Notfallplan, in welchem Risikosituationen und Bewältigungsstrategien enthalten sind. Im letzten Teil geht es in einem Nachkontrollgespräch darum zu prüfen, wie potenzielle Täter mit dem Gelernten umgehen.

Beratungsnachfrage von Tätern und Täterinnen steigt

Das Angebot zeigt nicht nur bei Beat Wirkung. «Die Wahrscheinlichkeit, rückfällig zu werden, ist nach unserer Beratung stark reduziert», so Grenal.

Die Nachfrage hingegen steigt. «Ich denke nicht, dass es grundsätzlich mehr häusliche Gewalt gibt», sagt Grenal. «Aber unsere Beratung ist inzwischen bekannt. Die Leute melden sich häufiger und schneller bei uns.»

*Name geändert

Radio SRF 1, Treffpunkt-Teaser, 26.3.2024, 08:40 Uhr ; 

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