Mai Thi Nguyen-Kim kommt aus einer Chemiker-Familie. Ihr Vater ist Chemiker, ihr Bruder ist Chemiker und geheiratet hat sie ebenfalls einen Chemiker. Obwohl ihr die Arbeit in der Forschung, im Labor, gefällt, treibt sie etwas anderes an: Die Gesellschaft muss über wissenschaftliche Themen aufgeklärt werden. «Wissenschaft wird oft zu trocken, zu abstrakt, zu kompliziert vermittelt», sagt die 33-Jährige. 2015 startete sie aus diesem Grund ihren ersten YouTube-Kanal.
Fakten und Daten mit Humor
Nguyen-Kim moderiert unter anderem die ARD-Wissenschaftssendung «Quarks» und erreicht mit ihrem YouTube-Kanal «maiLab» mittlerweile ein Millionenpublikum. Auf diesem ordnet sie wissenschaftliche Fakten, Daten und Erkenntnisse auf erfrischende Art und Weise ein. Auch Humor ist kein Fremdwort für sie.
Im Gespräch zeigt sich: Mai Thi Nguyen-Kim brennt für Wissenschaft. Präzise Analysen und Leidenschaft schliessen sich nicht aus.
SRF: Frau Nguyen-Kim, ist die Pandemie eine gute oder eine schlechte Zeit für die Wissenschaft?
Mai Thi Nguyen-Kim: Ich weiss noch nicht, ob das bisher die beste oder schlimmste Zeit für die Wahrnehmung der Wissenschaft ist. Es ist sehr ambivalent: Es ist gut und toll, dass die Wissenschaft so viel Aufmerksamkeit bekommt. Andererseits werden wir auch angefeindet. Da muss ich dann jeweils sagen: «Hey, macht es mit dem Virus aus, nicht mit mir. Ich bin nur der Messenger, ich überbringe nur die Botschaft.»
Sie sehen sich als Vermittlerin, als Dolmetscherin der Wissenschaft. Was heisst das?
Ich möchte die Menschen nicht belehren, als wäre ich die Nachhilfelehrerin. Vielmehr möchte ich das wissenschaftliche Denken und Arbeiten vermitteln. Damit kann man in Zukunft auch selbst Dinge einordnen.
Wissenschaft wird oft zu trocken, zu abstrakt, zu kompliziert vermittelt.
Worin unterscheidet sich wissenschaftliches Denken und nichtwissenschaftliches Denken?
Ein klassisches Beispiel für mich als Chemikerin sind Hausmittelchen, von der Alternativmedizin bis zur Homöopathie. Ein Beispiel wäre die Aussage: «Ich habe Kopfschmerzen und nehme nun diesen Zwiebeldrink von meiner Oma. Der schmeckt schrecklich, aber danach geht es mir immer besser». Das ist die nichtwissenschaftliche Herangehensweise. Die Wissenschaftlerin würde sich denken: « Das kann sein, dass es an diesem ekligen Zwiebeldrink liegt. Es kann aber auch sein, dass die Schmerzen auch ohne diesen Drink verschwunden wären. Kopfschmerzen kommen und gehen ja». Richtig untersuchen müsste man das mit einer kontrollierten Studie. Wissenschaftliches Denken heisst, nicht nur die Bestätigung zu suchen, sondern sich immer in Frage zu stellen.
Kann man sagen, ein grosser Treiber der Wissenschaft ist der Zweifel?
Genau, die Essenz der Wissenschaft ist der Zweifel oder das, was man nicht weiss. Das Schöne an der Wissenschaft ist für mich: Wenn man eine Frage beantwortet, tun sich direkt drei neue auf. Diese Komplexität, die liebe ich.
Sie sind studierte Chemikerin, bearbeiten aber auch andere Themen. Wie wissen sie, dass Sie bei diesen auf der richtigen Fährte sind?
Ein ganz wichtige Sache, die auch Laien nachvollziehen können, sind die wissenschaftlichen Methoden. Das heisst, zu schauen, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihre Ergebnisse gekommen sind. Werden diese transparent vermittelt, so können auch Laien sehr gut abschätzen, wie aussagekräftig eine Studie ist.
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Kann die Wissenschaft die Welt retten?
Ja, aber nicht alleine. Ohne Wissenschaft wird es nicht gehen. Ohne Innovationen, wie aktuell der Impfstoff, würden wir ziemlich blöd dastehen. Auch brauchen wir Innovationen für die Energiewende. Aber man darf sich nicht darauf verlassen, dass wir uns dann zurücklehnen können und nichts mehr machen müssen. Wir müssen uns einschränken, die Wissenschaft ist begrenzt. Sie gibt uns nur Tools. Am Ende entscheidet der Mensch – und das sind ethische und moralische Fragen.
Zum Schluss eine ganz andere Frage. Sie sind verheiratet und im vergangenen Jahr Mutter geworden. Was sagen Sie: Ist die Liebe reine Biochemie?
Das kann ich nicht beweisen. Ich glaube, bei der Liebe ist am Ende alles irgendwie biochemiesch, physikalisch. Das sind alles elektrische Impulse, Ionen, Moleküle. Ich denke jedoch nicht, dass wir sie je auch nur ansatzweise verstehen werden.
Das Gespräch führte Beatrice Gmünder.