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Aus Dini Mundart vom 26.01.2023.
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Dialekte in der Schweiz Aargauerdeutsch gibt es nicht

Wie Walliserdeutsch tönt, haben wir im Kopf. Auch von anderen Mundarten haben wir klare Vorstellungen. Aber was macht eigentlich Aargauerdeutsch aus? Die Wahrheit ist: Es gibt keine Dialektmerkmale, die typisch sind für den ganzen Aargau. Typisch ist vielmehr die mundartliche Vielfalt im Kanton.

Am leichtesten erkennt man einen Aargauer oder eine Aargauerin daran, was er oder sie nicht ist. Denn der Aargau liegt im Übergangsgebiet zwischen den Dialekträumen von Bern, Zürich, Luzern und Basel. Diese vier Mundarten haben im Lauf der Geschichte auf die jeweils angrenzenden Aargauer Gebiete stark abgefärbt.

 Vier Mundartregionen im Aargau

Entsprechend teilt man den Aargau in die vier Mundartregionen Fricktal, Nordostaargau, Freiamt und Südwestaargau ein. Der Südwestaargau, grob umrissen das Dreieck zwischen Zofingen, Hallwilersee und Brugg, gehörte zwischen 1415 und 1798 zum angrenzenden Bern. Entsprechend hört man, je weiter westlich man kommt, immer mehr «si chöne» statt östliches «si chöned» oder «gnue» statt «gnueg» oder «Wäut» statt «Wält».

 «Dasch nöd nètt» oder «dasch nid nätt»?

Ganz ähnlich verhalten sich die drei anderen Mundartregionen des Aargaus mit ihrer jeweiligen Nachbarregion. In der ehemaligen Grafschaft Baden, also im Nordostaargau, orientiert man sich sprachlich stark Richtung Zürich und Ostschweiz. Man sagt «nööd», nicht das westliche «niid», oder «Wèèg» und «nètt», nicht wie sonst im Aargau «Wääg» und «nätt». Und der Flachkuchen mit Belag ist von Baden bis Zurzach keine «Wääje» oder «Wääe» und kein «Chueche», sondern eine nordostschweizerische «Tünne»!

 «Dä Duubel isch go Biire stääle»

Im Fricktal werden die Vokale länger, je näher bei Basel man ist, also etwa «Duubel», «Biire» und «stääle» statt «Dubel», «Bire» und «stäle». Die Freiämter wiederum erkennt man an Verbformen wie «si sägid» statt «si säge» oder «si säged». Diese konsequenten Endungen auf -id in allen Verbpluralen gibt es sonst nur in der Innerschweiz.

Auch Peach Weber erkennt man an der Textzeile «I bin en Aargauer also passid uuf» als Freiämter.

Warum ist der Aargau viergeteilt?

Der Aargau existiert in seiner heutigen Form erst seit rund 200 Jahren. In dieser kurzen Zeit habe sich nie ein gemeinsames Sprachbewusstsein entwickelt, sagte der Zurzacher Linguist Hans-Peter Schifferle in der Mundartsendung «Schnabelweid».

Audio
Aargauer Mundart - was ist das genau?
aus Dini Mundart Schnabelweid vom 29.10.2015. Bild: SRF
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Vorher war das heutige Kantonsgebiet jahrhundertelang Untertanengebiet von vier verschiedenen Herrschaften: Das Fricktal gehörte zum habsburgischen Vorderösterreich. Das Freiamt und der Ostaargau waren sogenannte gemeine Herrschaften der Eidgenossen und der ganze Südwesten gehörte zu Bern.

Der Kanton Aargau im Ancien Régime
Legende: Aargau im Ancien Régime SRF / MapTiler openstreetmap contributors

Diese alten politischen Grenzen stimmen noch heute erstaunlich genau mit den vier Mundartregionen des Aargaus überein. Will man die Herkunft eines Aargauers oder einer Aargauerin bestimmen, braucht man nur die positive Antwort auf die Frage, ob er oder sie gern Fliegen habe. Denn im Südwesten hat man «gäärn Flöige», im Freiamt «gèèrn Flöige», im Ostaargau «géérn Flüüge» und im Fricktal «gäärn Fliege».

Lautgrenzen von «Fliege» und «gern» im Kanton Aargau
Legende: Lautgrenzen im Kanton Aargau SRF / MapTiler openstreetmap contributors

Auch die Wörter für «Bonbon» halten sich an die alten Herrschaftsgrenzen: Im Freiamt heissen sie «Zückerli», im Nordostaargau «Zältli», im Fricktal «Gutsi» oder «Chröömli» und im Südwesten «Täfeli».

Kurzum: Nicht die Einheit macht den Aargau sprachlich aus, sondern die Vielfalt. Trotzdem, betont Hans-Peter Schifferle, sei der Aargauer Dialekt eine vollständige und runde Mundart!

Radio SRF 1, «Dini Mundart», 27.01.2023, 09:40 Uhr

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