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Redewendungen rund ums Fleisch sorgen für Kritik
Aus Dini Mundart vom 23.06.2023.
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Fleisch in der Sprache Es geht um die Wurst: Auch Vegis nehmen «Fleisch» in den Mund

Redewendungen wie «ein Hühnchen rupfen», «etwas ausschlachten» oder «den Braten riechen» widerspiegeln die lange Geschichte unseres Fleischkonsums. Nun wird langsam Kritik an dieser blut- und fettgetränkten Sprache laut.

Es brutzelt und zischt allenthalben – die Grillsaison hat begonnen. Bei den meisten liegen tierische Produkte auf dem Rost. Auch wenn der Anteil derer, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, stetig zunimmt: Fleisch bleibt für die grosse Mehrheit unverzichtbar.

Dass wir ein Volk von Fleischesserinnen und Fleischessern sind, widerspiegelt auch unsere Sprache. Der Fleischkonsum und die Zubereitung von tierischer Nahrung findet sich in vielen Redewendungen.

Viele alte Redewendungen

Wer den Braten riecht, kann etwas erahnen, was er oder sie nicht sieht. Bereits der römische Dichter Horaz roch ihn (lateinisch «nasum nidore supinor»). Martin Luther machte den Ausdruck vor 500 Jahren im deutschen Sprachraum bekannt.

Die Redewendung mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen haben ist in dieser Form seit 200 Jahren schriftlich belegt. Aber rupfen bedeutete schon im Mittelalter 'jemanden tadeln, schelten' – schliesslich ist das Hühnerrupfen eine eher grobe Tätigkeit.

Es geht um die Wurst

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Legende: Keystone/akg-images/akg-images / Sammlung Berliner V

Ausschlachten bezeichnet wörtlich das Ausweiden eines Tieres. Im übertragenen Sinne, also 'etwas in jeder Hinsicht ausnützen', ist ausschlachten seit dem 17. Jahrhundert in Gebrauch.

Wenn es um die Wurst geht, dann naht die Entscheidung. Dieser Ausdruck geht wohl zurück auf volkstümliche Wettkämpfe, bei denen es eine Wurst als Preis gab. Erstmals belegt ist er im 19. Jahrhundert.

Spiegel der Esskultur

Offensichtlich spielte der Fleischkonsum in der Kultur von Adel, Klerus und Bürgertum über Jahrhunderte eine grosse Rolle. Denn sie waren es, welche bis vor 100 Jahren die Sprache prägten. Dass die breite Bevölkerung bis ins 20. Jahrhundert mangels Finanzen nur selten Fleisch ass, lässt sich an der Sprache darum nicht ablesen.

Doch die allmähliche Popularisierung des täglichen Fleischkonsums führte zu vielen weiteren Redewendungen. So prägte etwa der ungarische Politiker Zoltán Pfeiffer Ende der 1940er-Jahre den Begriff Salamitaktik. Er kritisierte damit das Vorgehen der Sowjetunion, um Schritt für Schritt (quasi Salamirädchen für Salamirädchen) die Macht in Ungarn zu übernehmen. Ab den 1960er-Jahren etablierte sich der Begriff Salamitaktik auch im deutschsprachigen Raum.

Der Ausdruck Speckgürtel für die Agglomeration einer Stadt entstand Ende der 1980er-Jahre. Er bezieht sich wohl darauf, dass in den Agglomerationen viele Menschen leben, die im Stadtzentrum arbeiten, ihre Steuern aber in der Agglomeration bezahlen, die dadurch reich, also fett wie Speck werden.

Kritik an der Fleisch-Sprache

Metaphern wie Salamitaktik oder Speckgürtel sind nur möglich, weil wir wissen, wie Salami gegessen wird bzw. dass Speck einen hohen Fettanteil aufweist. Unsere Lebenswelt schlägt sich also in der Sprache nieder.

Fruchtfleisch und Eiweiss, Beilagen und Beigemüse

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Dass Fleisch und andere tierische Produkte eine wichtige Grösse unserer Erlebniswelt sind, zeigt sich auch in Bezeichnungen wie Fruchtfleisch, Kokosmilch oder Eiweiss (für alle, auch nicht-tierische Proteine).

Der traditionell hohe Stellenwert des Fleisches zeigt sich auch im Begriff Beilagen für die fleischlosen Anteile eines Gerichts. Dieser macht das Fleisch zum Zentrum und wertet alles Andere ab. Vom traditionellen fleischzentrierten und üblicherweise dreigeteilten Teller (Fleisch, Gemüse, Sättigungsbeilage) kommt auch der Ausdruck Beigemüse, welcher nun allgemein Unwichtiges bezeichnet.

Aber auch das Umgekehrte trifft zu: Die Sprache beeinflusst unser Denken und Handeln, das ist wissenschaftlich belegt. Der Metaphernforscher Hugo Caviola von der Universität Bern plädiert darum im Hinblick auf eine ökologischere Ernährung dafür, Fleischmetaphern zu vermeiden. Statt das ist mir Wurst könne man zum Beispiel sagen das ist mir egal. «Wer sich mit Fleischbildern verständigt, nutzt und bestärkt hintergründig die Geltung des Fleisches als Bezugsgrösse. Selbst Fleisch zu essen, ist dazu gar nicht nötig», schreibt Caviola.

Uneinigkeit bei Vegi-Burger und Blumenkohl-Steak

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Für den Berner Metaphernforscher Hugo Caviola sind neue Begriffe wie Vegi-Burger, pflanzenbasiertes Gehacktes, Blumenkohl-Steak oder Tofu-Auberginen-Gulasch ein Lichtblick: «Gelingt es ihnen, sich durch ihren Gebrauch durchzusetzen, können sie quasi auf leisen Sohlen einen gesellschaftlichen Wandel anstossen, der neue Wirklichkeiten schafft.»

Caviola begrüsst also, dass Begriffe, welche traditionellerweise mit Fleisch assoziiert werden, für fleischlose Alternativprodukte vereinnahmt werden.

Eine entgegengesetzte Perspektive hat Swissveg, die Interessenvertretung vegan und vegetarisch lebender Menschen in der Schweiz. Begriffe wie pflanzenbasiertes Gehacktes oder Blumenkohl-Steak sind für Swissveg «Beispiele, wie selbst Pflanzliches von der Fleischkultur vereinnahmt wird».

Im Lager derjenigen, die den Fleischkonsum kritisieren, ist man sich also nicht einig über den angemessenen Sprachgebrauch.

Aber ob wirklich mehr Fleisch gegessen wird, weil es in vielen Redewendungen vorkommt, ist fraglich. Die von Hugo Caviola behauptete «fleischbestärkende Wirkung» von entsprechenden Metaphern dürfte eher gering sein. Mehr Einfluss als ein Wandel in der Sprache hat sicher eine Verhaltensänderung – ein Blumenkohl-Steak auf dem Grill statt eines vom Rind oder vom Schwein. Aber die eine Veränderung schliesst die andere ja nicht aus.

Radio SRF 1, «Dini Mundart», 23.06.2023, 09:40 Uhr

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