Die gesamte bewohnte und unbewohnte Landschaft ist von einem dichten Netz von Namen überzogen, die pauschal als «Flurnamen» bezeichnet werden. Sie dienen der Orientierung im Gelände und der Identifizierung von Orten. Die meisten von ihnen sind vor langer Zeit und aufgrund eines damals unmittelbar einleuchtenden Motivs entstanden.
Kein Sex in der «Lustmüli»
Zum Beispiel zeigten sie den Besitz an, wie bei der «Lustmüli» in Teufen AR. Das war kein zweifelhaftes Etablissement, sondern wörtlich die «Mühle einer Person mit dem Namen Lusti». Oder das «Siechenholz» in Muttenz. Das war eine Waldpartie, deren Erlös dem Basler Siechenhaus St. Jakob, also einem Spital zugute kam.
Englische Ausdrücke, eigenartige Pluralformen oder Germanismen: Der schöne Schweizer Dialekt geht bachab. Wie schlimm steht es um unsere Sprache? Nadia Zollinger ist besorgt, doch SRF-Dialektforscher Markus Gasser sieht die ganze Sache lockerer.
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Der Charakter einer Flur wird zum Namen
Besonders häufig nehmen Flurnamen Bezug auf das Gelände («Chrummacker», «Stutz»), auf die Beschaffenheit des Bodens («Steinacker», «Sägimuer» - muer = Moor) oder auf Flora und Fauna («Im Binz» - binz, binse = Sumpfpflanze, «Schnäggeräi»). Auch Gewerbe («Gärbimatt», zu einer Gerberei) und Kulturgeschichtliches («Häxeblätz», wo sich Hexen tummeln sollen) spiegeln sich im Namenschatz.
Beschimpfen mit Flurnamen?
Viele dieser Namen stammen aus dem späten Mittelalter. Der Sprachwandel hat dazu beigetragen, dass sie für uns heute missverständlich klingen. Das «Löli» zum Beispiel bedeutet einfach «Wäldchen». Denn «Loo» ist ein altes Wort für Gehölz oder Gebüsch. Auch der Name «Cheibestatt» geht nicht auf eine Beschimpfung zurück: Mittelhochdeutsch «keibe» bedeutet ursprünglich Tierkadaver. An der «Cheibestatt» vergrub man tote Tiere.
Menschliches, Allzumenschliches
Manchmal allerdings bedeutet ein Name genau das, was er zu bedeuten scheint. Das «Gimmermeh» ist ein Stück Land mit geringem Ertragswert. Genauso wie das «Vilztüür» im Kanton Schwyz, das ausserdem noch zu viel gekostet hat. Unrecht dagegen erfuhr der «Schnurrenweg» im Basler Gundeldingerquartier: Weil er ans wüste Wort «Schnure» für Maul erinnerte, wurde er nach einer Anwohnerbeschwerde 1871 in «Hochstrasse» umbenannt. Dabei gehörte das angrenzende Landstück einst einfach einem Mann namens «Schnurr».
Am Arschwald ist nichts unanständig
Auch andere Flurnamen sind zu unrecht in Verruf geraten. So ist «after» ein altes Wort für neben, nach oder hinter. Die «Aftermatt» ist also ganz unverdächtig die «hintere» oder die «andere» Matte. Und auch die zahlreichen «Arsch»-Namen wie der Glarner «Arschwald» haben in der Regel sprachlich nichts mit dem verlängerten Rücken zu tun. Es ist ein romanischer Reliktname, geht auf «arsus» zurück, was «verbrannt» bedeutet - und erinnert deshalb an Brandrodung.
Chillen mit Selfie?
Und dann scheint sich auch die Jugendsprache bereits in der Namenlandschaft einzunisten. Oder was ist vom «Selfiweg» in Jenins zu halten? Die Bündner Herkunft führt auf die Spur! «Selva» bedeutet im Romanischen «Wald» und «Selvi» oder «Selfi» sind Varianten davon, die in vielen Flurnamen vorkommen. Auch der «Chillweg» im Basellandschaftlichen Biel-Benken ist kein «Tschillweg», wo man gemütlich ausruht - jugendsprachlich eben «chillt». Der Name bezieht sich auf «Kirche», mundartlich «Chile».
Wohnen im Kuss
All diese Namen wecken in uns Assoziationen, bewahren in ihrer eigentlichen Bedeutung aber ein Mosaiksteinchen der Vergangenheit. So auch der Siedlungsnamen «Kuss» in Walzenhausen AR. Seine heutige Form überdeckt, dass es sich ganz profan um die Bezeichnung für eine Häusergruppe handelt, das «Ghuus», zu althochdeutsch «gihûs». Aber es bleibt uns natürlich frei, darin etwas anderes zu sehen.
Welchen kuriosen Flurnamen kennen Sie? Über welchen Flurnamen hätten Sie gerne Auskunft? Schreiben Sie unten einen Kommentar!