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Lücken im Wortschatz füllen So entstehen neue Wörter

Technologische Fortschritte oder gesellschaftlicher Wandel führen zu neuen Dingen, Konzepten, Vorstellungen. Diese wiederum müssen benannt werden können. Die neuen Wörter können auf unterschiedliche Arten entstehen. Hier die wichtigsten.

Als Anfang der 1960er-Jahre die Computermaus erfunden wurde, entstand eine Lücke im Wortschatz: Dieses Gerät zur Steuerung des Computers brauchte einen Namen. 1965 wurde die englische Bezeichnung «mouse» in einem Entwickler-Bericht zum ersten Mal erwähnt.

Das metaphorische Benennungsmotiv der Entwickler liegt auf der Hand: Das Gerät ähnelt mit seinem Kabel dem Nagetier mit dem dünnen Schwanz.

Alte Wörter in neuer Bedeutung

Als die Computernutzung zunahm und sich die Geräte immer weiterentwickelten, taten sich weitere Wortschatzlücken auf: Wie sollte man etwa das Verschieben des Bildschirmausschnitts bezeichnen? Die Wahl fiel schliesslich auf «to scroll». Wieder kein neues Wort – «to scroll» ist seit dem 17. Jahrhundert belegt in der Bedeutung 'in einer Schriftrolle schreiben' (das Substantiv «scroll» bedeutet 'Schriftrolle').

Die erste Computermaus aus Holz steht neben einem modernerem Modell
Legende: Die erste Computermaus (links) neben einem modernerem Modell 1968 präsentierte der Tüftler Douglas C. Engelbart erstmals eine Computermaus. Er bezeichnete seine Maus damals als «X-Y-Positionsindikator für ein Bildschirmsystem». Keystone/Julie Stupsker

Seit dem 19. Jahrhundert kann «to scroll» auch 'eine Schriftrolle aufrollen (um darin zu lesen)' meinen. Von diesem Bild ausgehend wurde die Bedeutung von «to scroll» in den 1970er-Jahren auf das Verschieben des Bildschirmausschnitts ausgedehnt (eine sogenannte «Bedeutungserweiterung»).

Neue Wortschöpfungen

Um etwas Neues zu benennen und damit Wortschatzlücken zu schliessen, kann man also bestehende Wörter nehmen und ihnen eine zusätzliche Bedeutung verpassen.

Eine andere Möglichkeit ist die Schöpfung ganz neuer Wörter .

Wortbildung

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Bei der Schöpfung neuer Wörter gibt es verschiedene Möglichkeiten. Dies sind die wichtigsten:

  • Konversion : Durch Wechsel der Wortart wird ein neues Wort geschaffen. Beispiele: Aus dem Verb «leben» entsteht das Substantiv «das Leben». Oder aus dem Substantiv «Whatsapp» entsteht das Verb «whatsappen».
  • Derivation (Ableitung): Durch Anhängen von sogenannten «Affixen» wird ein neues Wort geschaffen. Beispiele: Aus dem Verb «leben» entstehen Verben wie «beleben», «ausleben», «vorleben» oder Adjektive wie «lebend», «lebendig». Heute sind einige wenige Affixe wie etwa «-isierung» besonders produktiv: «Aldisierung», «Eventisierung», «Boulevardisierung» usw.
  • Komposition (Zusammensetzung): Durch die Kombination von zwei oder mehr Wörtern wird ein neues Wort geschaffen. Aktuell (zumindest im Deutschen) die produktivste Art der Wortbildung. Aktuelle Beispiele: «Betrug» + «Software» = «Betrugssoftware». «schnell» + «laden» + «Säule» = «Schnellladesäule». «roh» + «vegan» = «rohvegan».
  • Kontamination (Wortkreuzung): Anders als bei der Komposition «verschmelzen» hier die Wörter ineinander zu einem neuen Wort. Aktuelles Beispiel: «iPod» + «broadcast» = «Podcast».

Englisch, die Wortschöpfungsmaschine

Besonders viele Wortschatzlücken werden zuerst durch englische Wörter gefüllt. Kein Wunder: Englisch ist seit Jahrzehnten die wichtigste Sprache in Wirtschaft, Wissenschaft und in der globalen Kommunikation. Auch nicht-englischsprachige Menschen, Teams und Firmen kreieren daher oft neue Wörter in der englischen Sprache.

Andere Sprachen übernehmen oft diese neuen englischen Wörter zusammen mit der Neuheit, die sie bezeichnen. So wurden die Wörter «mouse», «to scroll» und «podcast» als «Maus», «scrollen» und «Podcast» in den deutschen Wortschatz aufgenommen.

Diese drei Wörter zeigen beispielhaft drei Stufen der Entlehnung: «Podcast» wurde als Fremdwort 1:1 ins Deutsche übernommen, das Lehnwort «scrollen» wurde an die deutsche Grammatik angepasst und bei «Maus» handelt es sich um eine Lehnübersetzung .

Deutsch ist offen für Entlehnungen ...

Die deutsche Sprache zeigt sich generell sehr offen für Fremd- und Lehnwörter. Gerade englische Wörter wie «Follower» oder «queer» werden nicht übersetzt. Und wenn Lehnübersetzungen existieren, dann werden sie meist weniger verwendet als das Fremd- oder Lehnwort (z.B. «Urban Gardening» vs. «urbaner Gartenbau»).

... Isländisch schöpft lieber selber

In anderen Sprachen werden viel öfter aktiv Lehnübersetzungen gesucht und auch verwendet. In Frankreich, Schweden und Island gibt es gar staatliche Kommissionen, welche die Aufgabe haben, die nationale Sprache zu pflegen und neue spracheigene Wörter zu schöpfen.

Die Wortschöpfungsköniginnen

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In Schweden hat man auf Instagram keine «follower», sondern «följare», in Island sind es «fylgjendi» (beides wörtlich: 'Folger:innen'). Die «Académie française» empfiehlt dafür das Wort «acolyte» (wörtlich: 'Folgerin, Diener'). Allerdings sind «follower» und «followeur» im tatsächlichen Gebrauch üblicher.

In Island ist man besonders bedacht darauf, Entlehnungen zu vermeiden und stattdessen spracheigene Wörter zu schöpfen: Während «queer» sogar im Französischen und Schwedischen verwendet werden, spricht man im Isländischen von «hinsegin» (wörtlich: 'anders, eigen').

Es gibt also unterschiedliche Wege, Wortschatzlücken in der eigenen Sprache zu füllen, wenn in einer anderen Sprache schon ein Wort dafür existiert: Entweder wird das Fremdwort übernommen oder es wird ein eigenes kreiert. Welcher Weg gewählt wird, hat viel mit der jeweiligen Sprachkultur zu tun. Ans Ziel führen beide.

Radio SRF 1, «Dini Mundart», 17.1.2024, 09:40 Uhr

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