Kleiner als Appenzell-Innerrhoden, weniger Bevölkerung als Thun: Liechtenstein ist ein Zwergstaat. Und doch birgt es eine erstaunliche Dialektvielfalt.
Während die Mundarten des Liechtensteiner Oberlandes einige Ähnlichkeit mit Dialekten auf der Schweizer Seite des Rheins haben, sind die Mundarten des Unterlandes näher an den Vorarlberger Dialekten.
Und der Dialekt des Walserorts Triesenberg zeigt viele Gemeinsamkeiten mit den Walsermundarten in Graubünden. Aber alles der Reihe nach.
Zwischen Rheintal und Vorarlberg
Noch vor gut 300 Jahren war Liechtenstein kein eigenständiges Land. Die Grafschaft Vaduz und die Herrschaft Schellenberg, aus denen Liechtenstein 1719 entstand, gehörten jahrhundertelang denselben Adelsfamilien – wie einige benachbarte Gebiete in der heutigen Schweiz und in Vorarlberg.
Während das St. Galler Rheintal vor der Kanalisierung des Rheins nicht immer leicht zu erreichen war, gibt es zu Graubünden im Süden und Vorarlberg im Norden keine geografischen Hindernisse. Der Austausch war rege.
Gemeinsamkeiten...
Deshalb gleichen die Liechtensteiner Mundarten den benachbarten Dialekten am Alpenrhein. Zum Beispiel werden beidseits des Rheins die Vokale «i», «u» und «ü» zu «e», «o» und «ö» gesenkt: «Melch», «Stoba», «Schössla». Oder altes «au» wird zu «oo», also «Staub» als «Stoob», «glaube» als «globe» ausgesprochen.
Wie im Churer Rheintal wird das «K-» im Anlaut auch in Liechtenstein und in Teilen Vorarlbergs nicht zu «Ch-» wie im übrigen Schweizerdeutschen: «D Khua khunnt zum Khind.» Und ebenfalls wie im Churer Rheintal tendieren unbetonte Silben gegen «a» statt gegen «e»: «usafordara» statt «usefordere».
und Unterschiede
Da Liechtenstein gerade während der letzten Jahrhunderte stärker nach Vorarlberg ausgerichtet war als zur Schweiz, haben die Liechtensteiner Mundarten einige Eigenheiten von dort übernommen, die im Schweizerdeutschen unbekannt sind.
So spricht man in Liechtenstein wie in Vorarlberg vom «Gemeindevorsteher» statt vom «Gemeindepräsidenten» oder «Ammann» oder vom «Rad» statt vom «Velo».
Liechtensteinerisch ist nicht gleich Liechtensteinerisch
Innerhalb des Fürstentums gibt es eine Dialektgrenze zwischen dem Unterland im Norden und dem Oberland im Süden. Das hat zwei Gründe: Erstens waren das Unterland als Herrschaft Schellenberg und das Oberland als Grafschaft Vaduz bis vor 300 Jahren voneinander getrennt. Und zweitens ist das Unterland bis heute stärker nach Feldkirch und Vorarlberg ausgerichtet, das Oberland eher zur Schweiz.
So konnten sich Dialektunterschiede herausbilden. Zum Beispiel sagt man im Unterland wie auch im benachbarten Vorarlberg: «marn am Marga im Darf», im Oberland hingegen «morn am Morge im Dorf» wie im Schweizerdeutschen.
Noch etwas komplexer ist es mit dem alten «ei»-Laut: Dieser wird im westlichen Unterland zu «òò» (Mòòtle, tòòla, wòòss), im östlichen Unterland hingegen zu «aa» (Maatle, taala, waass). Im Oberland hört man bei jüngeren Leuten auch «aa», bei älteren Leuten aber «ää» (Määtle, tääla, wääss).
Abkehr von Vorarlberg
Da seit über 100 Jahren manche Brücke den Alpenrhein quert, haben sich die Kontakte in die Schweiz verstärkt. Viele Liechtensteiner studieren in Zürich oder machen eine Lehre in Buchs. Gleichzeitig hat der Austausch mit Vorarlberg abgenommen. So dürften sich die Liechtensteiner Mundarten in Zukunft dem Schweizerdeutschen annähern.