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Verkleinerungsformen im Schweizerdeutschen
Aus Dini Mundart vom 05.01.2023.
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Rüebli, Müesli und Guetsli Was das «-li» über die Schweizer Mentalität verrät

Schweizerdeutsch ist voll von Verkleinerungen. Aber ist die Diminutiv-Flut wirklich Ausdruck von Bescheidenheit und Zurückhaltung? Die Gründe liegen woanders.

Für einmal stimmt das Klischee: Im Schweizerdeutschen sind Verkleinerungsformen, sogenannte Diminutive, viel häufiger als im Hochdeutschen.

Tatsächlich reden wir gerne von Plätzli, Rüebli, Müesli, Guetsli, Schöggeli und so weiter – und das sind erst die Esswaren – die «-li» ziehen sich durch unseren ganzen Wortschatz.

Angeblicher Ausdruck von Kleinheit und Zurückhaltung

Oft heisst es, das habe mit der Kleinheit des Landes oder mit der angeblich typisch schweizerischen Bescheidenheit und Zurückhaltung zu tun. Aber das sind kaum die wahren Gründe, sondern nachträgliche Erklärungsversuche.

Denn das Schweizerdeutsche ist nicht die einzige Sprache mit einer hohen Diminutiv-Dichte. Auch andere süddeutsche Dialekte wie das Schwäbische (Spätzle, Weckle, Apfelküchle) oder das Bairisch-Österreichische (Schnitzel, Backhendl, Vanillekipferl) mögen die Diminutive.

Diminutive sind auch in grossen Ländern beliebt

Und auch im Niederländischen, Italienischen, Spanischen oder Russischen sind Verkleinerungsformen ebenso beliebt wie im Schweizerdeutschen.

Angesichts dieser Beispiele kann unsere Diminutiv-Freudigkeit kaum mit der Kleinheit der Schweiz oder der nationalen Mentalität – falls so etwas überhaupt existiert – zu tun haben.

Umgangssprache mag Diminutive ...

Was ist es dann? Die deutsche Sprachforscherin Lea Schäfer erklärt die grosse Diminutiv-Diskrepanz zwischen Hochdeutsch und den (süd)deutschen Dialekten mit den unterschiedlichen Anwendungsbereichen dieser Sprachvarietäten.

In ungezwungenen Gesprächen sind Diminutive beliebt, weil sie Nähe, Vertrautheit und Lockerheit signalisieren. In formellen Situationen – also etwa in der Politik, in der Wissenschaft oder in Gesetzestexten – passen Diminutive eher nicht zur geforderten nüchternen, formellen Sprache.

... Standardsprache nicht

Da in ungezwungenen Gesprächen eher Dialekte gesprochen werden und in formellen Situationen meist Hochdeutsch verwendet wird, so Schäfer, seien Verkleinerungsformen in Dialekten viel häufiger.

Dieser Unterschied zwischen formeller und informeller Sprache zeigt sich auch in anderen diminutivfreudigen Sprachen.

Von den Romanen abgeschaut

Ein zweiter Grund für die vielen Diminutive in den süddeutschen Dialekten (inklusive Schweizerdeutsch) ist ihre Nähe zum romanischen Sprachgebiet, also Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.

Ursprünglich verwendeten die germanischen Sprachen (also auch Deutsch) nämlich kaum Verkleinerungsformen. Im Schwedischen gibt es sie bis heute nicht. Als sich germanische Stämme im Mittelalter am und im romanischen Sprachgebiet ansiedelten, begannen sie, Verkleinerungsformen von ihren romanischsprachigen Nachbarn zu übernehmen, erklärt der Berner Sprachwissenschaftler Roland Hofer. Deshalb gebe es im Süden und Westen des deutschen Sprachraums – in der Nähe der Sprachgrenze – heute deutlich mehr Diminutive als im Norden.

Es ist also weniger die «Schweizer Mentalität» oder die Kleinheit unseres Landes, sondern vielmehr der hohe Stellenwert unserer Dialekte sowie unsere geografische Lage, welche hinter unserer Vorliebe für Verkleinerungsformen stecken.

Wie macht sich aus Ihrer Sicht die «Schweizer Mentalität» in der Sprache bemerkbar? Diskutieren Sie in der Kommentarspalte mit!

Radio SRF 1, «Dini Mundart», Freitag, 6.1.2023, 9:40 Uhr

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