Am Anfang stand eine Idee: Muscheln aus dem Zürichsee sollten den Weg in die Stadtlokale finden. Was verrückt klingt, hat sich für Unternehmer Manuel Vock und Köche wie Markus Stöckle zu einem kulinarischen Abenteuer entwickelt – mit einer kleinen, unscheinbaren Körbchenmuschel in der Hauptrolle.
Von der Tiefe auf den Teller
Muschelfan und Unternehmer Manuel Vock, hatte selbst die Idee, Muscheln im Zürichsee zu sammeln. Er probierte verschiedene Arten und landete bei der invasiven asiatischen Körbchenmuschel, die erstmals 1997 in Schweizer Gewässern nachgewiesen wurde.
Ich habe mich mit der Muschelbude schon am Bürkliplatz gesehen
«Als ich die einheimischen Muscheln gefunden habe, dachte ich mir, das wird ein riesiges Business und ich habe mich mit der Muschelbude schon am Bürkliplatz gesehen», witzelt Vock gerne über sich selbst. Ganz so florierend ist es noch nicht, doch auf Bestellung sammelt er die Muscheln für Gastronomen wie Markus Stöckle, Frank Widmer oder Tarik Lange. Zudem entwickelte er eine eigene Vongole, die er über einen Grossverteiler verkauft.
Mehrmals die Woche sucht Vock die gleiche Stelle am See in Oberrieden auf. Mit einem Rechen und einer Kiste hüpft er in den Zürichsee. Muscheln findet er immer: um die 15 Kilogramm Muscheln sammelt er pro Tauchgang.
Der Spitzenkoch und die Zürcher-Muscheln
Als vor acht Jahren Manuel Vock bei Markus Stöckle anfragte, traute der Koch kaum seinen Ohren: essbare Muscheln aus dem Zürichsee? Nach einigen Tests entstand daraus ein Gericht, das seither unverändert auf der Karte steht: eine salzige Fotzelschnitte mit saftigem Schinken, Muschel-Velouté und Zürichsee-Muscheln. Auf Bayrisch nennt er es «Armer Ritter 1866».
Sowieso gilt der Deutsche laut Gault-Millau als einer der verrücktesten Köche des Landes: Markus Stöckle führt das Restaurant «Rosi» im Zürcher Trendquartier Lochergut. Seine bayerisch inspirierte Küche ergänzt er gerne um eine essbare, rauchende Wolke oder ein fluoreszierendes Pilzgelee.
Der Gastronom ist dafür bekannt, erfinderisch zu sein. Seine Gerichte entstehen in Zusammenarbeit mit Künstlern, Tätowierern sowie den Hochschulen ETH und ZHdK. «Uns beschäftigt die Frage: Wie können wir mehr Tiefgang in unsere Arbeit bringen? Vor allem in einer Welt, in der sich das Hamsterrad immer schneller dreht.»
Seine Kreationen sind alles andere als gewöhnlich. Inspiration findet er auf unterschiedlichste Weise und gerne auch in alten Kochbüchern: «Eine Fotzelschnitte mit Süsswassermuscheln aus dem Jahre 1888 – das Rezept habe ich vor langer Zeit entdeckt, und ich fand es schade, weil ich dachte, heute gäbe es bei uns keine essbaren Süsswassermuscheln mehr.»
«Das klang anfangs natürlich sehr speziell, eine salzige Fotzelschnitte. Heute kommen Gäste allein deshalb – und das ist das Schönste.»
20 verschiedene Muschelarten
Die Sammlung und Verwertung von Muscheln ist ein Ansatz für ein zunehmendes Problem, denn Schweizer Seen werden durch invasive Muschelarten belagert. In den letzten Monaten häufen sich Berichte über die problematische Verbreitung von invasiven Muschelarten – besonders der Quagga-Muschel und dessen Auswirkungen. Im Juni 2025 musste ein Abschnitt des Rheins bei Schaffhausen geschlossen werden. Die Gründe: Die anhaltende Trockenheit und unerwartete Muschelablagerungen. Diese sind zunehmend ein Problem für das hiesige Ökosystem in den Seen.
Obwohl in Schweizer Gewässern über 20 verschiedene Muschelarten zu finden sind, bedrohen besonders zwei Arten dieses Ökosystem der Gewässer: die Quagga-Muschel und die asiatische Körbchenmuschel.
Asiatische Körbchenmuschel vs Quagga-Muschel
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Bild 1 von 4. Corbicula fluminea und Corbicula fluminalis: Die Asiatische Körbchenmuschel kommt als feingerippte und als grobgerippte Art in Europa vor. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 4. Das Fleisch der etwa 5 cm grossen Muscheln ist weiss und schmeckt mild und leicht nach See. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 4. Dreissena rostriformis bugensis: Die Quagga-Muschel ist im Vergleich zur asiatischen Körbchenmuschel wesentlich kleiner und länglicher. Ihr Fleisch zu essen lohnt sich nicht. Bildquelle: Keystone/Gaetan Bally.
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Bild 4 von 4. Da sich die Quagga-Muschel im See tiefer ansiedeln kann, sind durch sie auch Trinkwasserleitungen gefährdet. Bildquelle: Keystone/DPA/Felix Kästle.
In den letzten Jahren haben sich Quagga-Muscheln vor allem durch Freizeitboote in den Schweizer Seen und darüber hinaus in Europa angesiedelt. Die asiatische Körbchenmuschel hingegen wurde wohl eher durch Containerschiffe eingeschleppt. Erst in Afrika und dann über den Rhein in Schweizer Gewässer. Beide Muschelarten setzen sich an Booten fest und reisen so flussaufwärts. Einmal in ein Ökosystem eingedrungen, können sie fast nicht mehr aufgehalten werden.
Problematisch an den beiden Muschelarten ist: Sie filtern Nährstoffe aus dem Wasser und verzehren Plankton, von dem viele Fischarten leben und sie vermehren sich rasant. Vor allem, weil die asiatischen Körbchenmuscheln sich selbst befruchten können, ist die Ausbreitung kaum einzudämmen. Zudem besiedeln sie den Seeboden und besonders die Quagga-Muscheln verstopfen Leitungen, durch die zum Beispiel Trinkwasser abgepumpt werden soll.
Zumindest für die asiatische Körbchenmuschel scheint der Ansatz sie zu sammeln und zu essen eine Idee. Die Quagga-Muschel dagegen hat so wenig Fleisch drin, dass sich die Zubereitung kaum lohnt.
Julie Conrads vom Wasserforschungsinstitut der ETH «Eawag» rät bei beiden Muscheln aber zur Vorsicht: «Muscheln filtrieren immer das, was im See ist. Allgemein gelten unsere Seen zwar als sauber, aber im Sommer haben wir oft Probleme mit Blaualgen. Da kann es trotzdem mal sein, dass die Muscheln toxisch sind. Deshalb sollte man sie vor dem Verzehr testen lassen.»
Diesen Prozess haben auch Manuel Vocks Muscheln durchlaufen. Die Tests hätten jedoch sehr tiefe Werte an Schadstoffbelastung gezeigt. In allzu grossen Mengen solle man sie trotzdem nicht verzehren das gelte aber auch für andere Wasserlebewesen weltweit, sagt Vock.
Ausbreitung stoppen
Im Zürichsee befürchtet die Eawag-Forscherin, dass sich ähnlich wie im Bodensee pro Quadratmeter bis zu 30'000 Muscheln ansiedeln werden. Ein unaufhaltsamer Prozess. Allerdings könnte man die Seen, die nicht befallen sind, schützen, indem man Freizeitboote reinigt und meldet.
Eine Option wäre, einen Teil der weiblichen Muscheln zu sterilisieren.
Einmal eingeschleppt, gibt es aber keine konkreten Massnahmen, um die Ausbreitung zu verhindern. Da könnte in Zukunft ein anderer Ansatz aus den USA greifen: «Eine Option wäre, einen Teil der weiblichen Muscheln zu sterilisieren, um die Population nach und nach zu verkleinern. Das wird bereits so mit Moskitos in den USA gemacht.», sagt die Forscherin. Bis dorthin sei es aber noch ein langer Weg und man stehe erst am Anfang.
Die Idee, alle Muscheln zu essen, sieht sie eher skeptisch. «Um Muscheln in der Menge aus dem See zu holen, damit es einen Einfluss hätte, müsste man zum Beispiel mit dem Bagger im Boden danach sieben. Dadurch würden wieder andere Kleinlebewesen wie Würmer und Insektenlarven mit entfernt, was wieder einen neuen Eingriff ins Ökosystem bedeuten würde.»