Die UNO spricht von einer der schlimmsten humanitären Krisen unserer Zeit. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter weiss, dass die Menschen in Gaza auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.
SRF: Warum ist Solidarität mit der Zivilbevölkerung in Gaza jetzt wichtig?
Karin Keller-Sutter: Es ist wichtig, dass wir solidarisch sind mit den Schwächsten. Leider gibt es viele Konflikte auf der Welt. Die Zerstörungsbilder, die wir aus Gaza sehen, sind erschütternd. Was mich besonders beschäftigt, ist das Leid der Kinder. Sie leiden am meisten und können nichts dafür, wo sie geboren werden und wo sie leben. Sie müssen grosse Entbehrungen ertragen.
Was für eine Verantwortung hat die Schweiz?
Der Staat gibt Geld im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit aus. Aber unsere Bevölkerung ist immer sehr solidarisch, wenn es darum geht, irgendwo Hilfe zu leisten. Dafür bin ich dankbar, und wir dürfen auch stolz sein auf die humanitäre Tradition, die wir in unserem Land haben.
Wo liegen die Grenzen der Möglichkeiten?
Die Waffenruhe ist brüchig. Nach wie vor ist eine Terrororganisation (Hamas) in Gaza tonangebend. Das ist eine schwierige Ausgangslage, um überhaupt Hilfe leisten zu können. Man muss die Zivilbevölkerung vor Ort stärken, weil deren Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden. Ich denke an Wasser, medizinische Versorgung und Nahrung. Es ist wichtig, dass es überhaupt zu einer Stabilisierung der Situation kommen kann.
Es ist eine fragile Situation. Viele dürften sich fragen: Was bewirken meine Paar Franken? Können Sie diese Haltung verstehen?
Ich verstehe das. Aber die Schweiz ist nicht das einzige Land, das hilft. Es gibt humanitäre Organisationen, Regierungen und Bevölkerungen in anderen Ländern, die spenden. Es ist immer eine Gesamtleistung.
Sie haben die Bilder angesprochen: Zehntausende Kinder, die ohne Eltern leben, zwei Millionen Menschen, die obdachlos sind – und jetzt kommt der Winter. Was löst das in Ihnen aus?
Grosse Betroffenheit. Wir sind aber nicht machtlos und man kann einen Beitrag leisten. Wir in der Schweiz sind nicht in so einer Situation und das gibt eine gewisse Verpflichtung, dass man unterstützt.
Natürlich können wir nicht alles Elend beseitigen. Aber das ist kein Grund zu sagen: Es ist mir egal, ich mache jetzt nichts.
Das ist einerseits die Sammelaktion der Glückskette. Man kann aber auch sonst Hilfswerke unterstützen. Die Kirchen machen in dieser Hinsicht auch sehr viel. Und ich denke, dass es wichtig ist, dass wir hier gemeinsam eine gewisse Solidarität haben. Natürlich können wir nicht alles Elend beseitigen. Aber das ist kein Grund zu sagen: Es ist mir egal, ich mache jetzt nichts.
Haben Sie auch das Gefühl: Es hört nicht mehr auf mit all diesen Katastrophen in der Welt? Wie fest überfordert sie das selbst?
Ja, es kann einen schon überfordern. Auf der anderen Seite hat vielleicht gerade unsere Generation manchmal die Tendenz zu vergessen, dass wir im letzten Jahrhundert zwei Weltkriege gehabt haben. Europa ist zerstört gewesen, ist in Trümmern gelegen. Die Generation unserer Eltern hat den Aufbau nach dem Krieg erlebt. Wir haben das Privileg gehabt, dass wir nicht in einer Kriegssituation gelebt haben. Vielleicht, mit Ausnahme von denen, die den Jugoslawienkrieg miterlebt haben. Das war auch in Europa. Aber trotzdem hat man die Tendenz zu vergessen, wie schwierig es immer gewesen ist. Und vielleicht haben wir einfach auch mehr oder weniger Glück gehabt, dass wir eine Phase in der Geschichte erlebt haben, in der es ruhiger gewesen ist.
Das Gespräch führte Daniel Fohrler.