Israel bombardierte am Sonntag Dutzende Ziele im Süden des Gazastreifens. Dabei sollen 40 Personen getötet worden sein. Zuvor habe die Terrororganisation Hamas die Waffenruhe gebrochen und zwei Soldaten getötet, hiess es von der Armee. Was das für die Waffenruhe bedeutet, schätzt Simon Wolfgang Fuchs in Jerusalem ein.
SRF News: Wie steht es aktuell um die Waffenruhe im Gazastreifen?
Simon Wolfgang Fuchs: Der Sonntag war sehr dramatisch – man könnte schon fast von einem Neun-Stunden-Krieg sprechen. Israel flog fast 120 Luftangriffe auf Ziele im Gazastreifen. Auf starken Druck der USA ist man dann aber wieder vom Abgrund zurückgewichen. Vorerst dürfte die Waffenruhe nun wieder halten, denn diese liegt im Interesse sowohl Israels als auch der Hamas.
Die Frage ist, wer den Befehl gab, auf die israelischen Soldaten zu schiessen.
Israel sagt, die Hamas habe zuerst geschossen und zwei Soldaten getötet. Ist das glaubwürdig?
Das scheint durchaus realistisch. Die Frage ist aber, wer den Befehl gab, auf die Soldaten zu schiessen. Die Hamas-Führung bestreitet, dass er von ihr kam. Fakt ist: Der Beschuss erfolgte hinter der sogenannten gelben Linie, also in dem Gebiet im Osten des Gazastreifens, in das sich die israelische Armee zurückgezogen hat. Die Hamas sagt, sie habe zu ihren Leuten in diesem Gebiet gar keinen Kontakt mehr.
Laut der Hamas ist Israel verantwortlich für den Bruch der Waffenruhe. Wie schätzen Sie dies ein?
Die Waffenruhe ist seit Anbeginn brüchig, es ist immer wieder geschossen worden. Vielerorts ist nicht ganz klar, wo die gelbe Linie verläuft. Viele Aspekte sind nicht überdacht und geregelt worden. So ist etwa unklar, was mit jenen Hamas-Kämpfern geschehen soll, die sich nach wie vor auf dem von Israel kontrollierten Gebiet im Gazastreifen aufhalten.
Die Hamas hat mit Rückendeckung der USA die Kontrolle in weiten Teilen des Gazastreifens wiedererlangt.
Welche Interessen verfolgen die beiden Seiten?
Für die Hamas gibt es eigentlich keinen Grund, die Waffenruhe jetzt aufzukündigen. Sie hat einen ziemlichen Lauf und mit Rückendeckung der USA die Kontrolle in weiten Teilen des Gazastreifens wiedererlangt. Auch ist sie daran interessiert, dass die Bevölkerung im Gazastreifen jetzt wieder gut versorgt wird. Die Hamas hat nach der Freilassung der Geiseln auch kein Faustpfand mehr.
Die israelische Bevölkerung ist kriegsmüde, viele Reservisten sind nach Hause entlassen worden.
Auf israelischer Seite steht Ministerpräsident Benjamin Netanjahu unter Druck seiner rechten Koalitionspartner, den Krieg wieder aufzunehmen. Doch die Bevölkerung ist kriegsmüde, viele Reservisten sind nach Hause entlassen worden.
Viele Details müssen geregelt werden – und es braucht die ausländische Sicherungstruppe.
Was braucht es, damit die Waffenruhe halten kann?
Es braucht den starken Druck der USA. Heute werden die Verhandler Steve Witkoff und Jared Kushner in Israel erwartet. Am Dienstag soll auch US-Vizepräsident JD Vance eintreffen. Das zeigt, wie enorm der Druck aus Washington ist, damit die Waffenruhe hält. Doch es müssen noch viele weitere Details geregelt werden und es braucht die ausländischen Sicherungstruppen für Gaza – und diese sind noch in weiter Ferne. Es gibt derzeit auch keinen Mechanismus, wie auf eine erneute Eskalation reagiert werden soll. Und so besteht weiterhin die Gefahr, dass der Krieg quasi von null auf hundert innert kürzester Zeit wieder aufflammen könnte.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.