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Trudi Gerster, mehr als eine Märlitante
Aus Treffpunkt vom 06.09.2019. Bild: Keystone
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100 Jahre Trudi Gerster «Die Bezeichnung Märlitante empfand sie als abwertend»

Märchen waren ihre Bestimmung. Doch eine «Märlitante» wollte sie nie sein. Sie war Künstlerin, eine selbstverliebte Diva. Aber auch eine clevere Geschäftsfrau, eine der ersten weiblichen Politikerinnen und eine Kämpferin.

Es war einmal ein Mädchen aus St. Gallen. Anno 1939, die Matura frisch im Sack, geht sie ins ferne Zürich. Einen Sommer lang erzählt sie an der Landesausstellung Märchen. Im Herbst kennt die ganze Schweiz ihre Stimme. Fortan ist sie die Märchenerzählerin der Nation.

Kurzbiografie Trudi Gerster

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Legende: Keystone
  • 1939: Märchenfee im Nestlé-Kinderparadies an der Landi in Zürich.
  • 1939-1941: Schauspielstudium am Bühnenstudio Zürich.
  • 1941-1946: Engagement am Stadttheater St. Gallen.
  • 1946: Heirat mit Walter Jenny, Umzug nach Basel, Start als Freie Schauspielerin und Märchenerzählerin.
  • 1950/1952: Geburt der Kinder Esther und Andreas.
  • Ab 1952: Regelmässige Auftritte im «Kinderclub» von Radio DRS.
  • 1954: Trennung von Walter Jenny, alleinerziehende Mutter.
  • 1968-1980: Wahl als eine der ersten Frauen in den Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt für den Landesring der Unabhängigen.
  • ab 1971: Zusammenarbeit mit Sohn Andreas Jenny. Er illustriet sämtliche Tonträger und Märchenbücher.
  • 1998: Wahl zur beliebtesten Kulturschaffenden der Schweiz durch die Leser des «Sonntagsblick».
  • 2005: Ehren-Prix-Walo.
  • 2010: Letzer öffentlicher Auftritt mit über 90 Jahren.
  • 2013: Trudi Gerster stirbt am 27. April in Basel.
Trudi Gerster 1939
Legende: Trudi Gerster erzählt Kindern an der Landesausstellung 1939 Geschichten. Keystone / Migros Genossenschaftsbund

Märchen waren ihr Leben

Ihr ganzes Leben sei geprägt gewesen von den Märchen, erinnert sich ihre Tochter Esther Jenny. Die bekannten Tierstimmen probte Trudi Gerster zu Hause.

Aus dem Schlafzimmer hat es gegackert, gewiehert und gegrunzt.
Autor: Esther Jenny Keshava Tochter von Trudi Gerster

Sie und ihr Bruder seien oft das Probepublikum gewesen: «Meine Mutter erzählte Märchen und schaute, wie wir reagieren.» Sie habe Kritik gut annehmen können.

Die verkannte Künstlerin

Nur etwas konnte Trudi Gerster nicht ausstehen: Die Bezeichnung als «Märlitante». «Sie empfand den Begriff als abwertend», erklärt ihre Tochter. Trudi Gerster war ausgebildete Schauspielerin, sah sich als Künstlerin. In ihre Märchen steckte sie viel Arbeit. Sie wollte Leuten eine Freude machen. Märchenerzählerin wäre die passende Berufsbezeichung gewesen, sagt ihre Tochter. Gefühlt aber habe sich ihre Mutter als Märchenkönigin.

Die Diva

Generationen von Kindern hingen ihr an den Lippen. Wenn Trudi Gerster in den 60er Jahren am Radio auftrat, seien die Strassen wie leergefegt gewesen, erzählt Franzsika Schläpfer. Sie hat 2016 Trudi Gersters Biografie geschrieben. Gerster habe alles gesammelt, was je über sie publiziert worden sei. Auch Fanpost habe ihr geschmeichelt. Ordnerweise habe sie diese gelagert.

Selbstverliebt? Ja! Trudi Gerster war eine Diva.
Autor: Franziska Schläpfer Biografin

Für eine Biografin sei das eine super Ausgangslage. Besonders beeindruckt hat Schläpfer, dass Gerster jeden einzelnen Brief beantwortet habe. Sie war ein Idol. Der Kontakt mit ihren Fans war ihr wichtig.

Die politische Bühne

1968 verwandelte sich die Märchenstimme in eine reale Person. Als eine der ersten Frauen wird Trudi Gerster für den LdU in den Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt gewählt. Ihr langjähriger und mittlerweile verstorbene Parteifreund Hansjürg Weder sagte über sie: «Sie war liebenswürdig, aber hartnäckig, aufsässig und kritisch.»

Video
Die Politikerin Trudi Gerster
Aus Schweiz aktuell vom 06.05.2013.
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Trudi Gerster sagte über sich selbst: «Sprachlich gewandt, habe sie gewusst, wie ich meine Anliegen platzieren musste.»

Ich hatte immer ein Publikum. Ich sprach nie Politiker-Chinesisch.
Autor: Trudi Gerster (1919-2013) Märchenerzählerin & ehemalige Basler Grossrätin

Dennoch: Ihre Kontrahenten hätten stets versucht ihre Mutter in den «Märlieggen» zu drängen, erzählt ihre Tochter. Trudi Gerster war eine Kämpferin. Natur- und Heimatschutz lagen ihr am Herzen.

Trudi Gerster war wie Greta Thunberg.
Autor: Eugen Keller Basler Ex-Regierungsrat (1972-1992)

Ihre Politik sei grün angehaucht gewesen. Sie sei ihrer Zeit voraus gewesen, sagt der damalige Basler Regierungsrat Eugen Keller heute.

Die Geschäftsfrau

Nach 12 Jahren Politik setzte Gerster wieder vollumfänglich auf die Märchen. Sie überliess nichts dem Zufall. «Sie war eine clevere und professionelle Geschäftsfrau», sagt SRF-Musikchef Michael Schuler. Er arbeitete früher für eine Plattenfirma, welche Gersters Hörspiele vertrieb. Sie habe alle Termine selbst organisiert. Stets habe sie Fanartikel zum Verkaufen dabei gehabt.

Das Lebenswerk

Trudi Gerster habe ein zeitloses Werk geschaffen. Bis heute könne ihr niemand das Wasser reichen. Dennoch blieb ihr der ganz grosse Ruhm verwehrt.

Sie wurde stets belächelt. Zu Unrecht schaffte sie es nie in die Topliga der heimischen Kulturszene.
Autor: Michael Schuler Musikchef Radio SRF

Trudi Gerster erhielt 2005 einen Ehren-Prix-Walo. Doch Schuler weiss: «Gerster litt unter ihrem Ruf als Märchentante». Sie war eine Künstlerin - durchaus eitel, aber humorvoll. Ihr Lebenswerk waren ihre Märchen.

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Gulliver bei den Liliputanern - Trudi Gerster erzählt
aus SRF Kids Hörspiele vom 30.08.2019. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 47 Minuten 20 Sekunden.

Und auch wenn sie nicht 100 geworden ist, ihre Märchen hören wir noch heute.

Zum 100. Geburtstag

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