Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Mag ich, mag ich nicht Geschmack ist Gewöhnungssache

Wir essen etwas nicht, weil es schmeckt, sondern es schmeckt, weil wir es essen. Nur ein kleiner Teil unseres individuellen Geschmacks ist angeboren, das meiste ist erlernt.

Der Mensch schmeckt bereits im Mutterbauch. Etwa ab der 28. Schwangerschaftswoche ist das Riechepithel des Fötus’ vollständig ausgebildet. Abhängig vom Essen der Mutter verändert sich der Geschmack des Fruchtwassers (so wie später auch die Muttermilch) täglich. So wird das Kind auf das Geschmacksumfeld der Familie vorbereitet. Das ist nicht determinierend, aber prägend.

Der Geschmack als letzte Rettung

Auf die Welt kommt das Kind mit einer Vorliebe für Süsses und einer Ablehnung für Bitteres. Evolutionär macht dies Sinn: Süss signalisiert Stärke und Energie, auch die Muttermilch ist süsslich, bitter hingegen signalisiert Gefahr. Bitterstoffe kommen in der Natur überwiegend in giftigen Pflanzen vor.

Der Geschmack ist die letzte Instanz. Sobald das Essen im Magen ist, könnten wir uns vergiftet haben.
Autor: Christine Brombach Dozentin für Ernährung und Konsumentenforschung, Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften

Das Kind lernt etwas zu mögen, indem es immer und immer wieder davon kostet. So kann der wachsende Mensch mit der Zeit auch die Bitterablehnung – Gemüse, Kaffee, Bier – ablegen, weil er sieht, dass es den Vorbildern nicht schadet. Der Geschmack des Kindes nähert sich dem Geschmack des Umfeldes an.

Mit dem Essen soll man spielen

Auch die Neophobie – die Angst vor etwas Neuem – macht evolutionär Sinn: Vom zweiten bis zum siebten Lebensjahr verweigert das Kind plötzlich, was es vorher noch gegessen hat. Es ist die Zeit, in der sich das Kind aus dem Blickfeld der Eltern entfernt und daher Gefahr laufen könnte, etwas Ungesundes oder gar Giftiges zu essen.

In anderen Weltregionen kauen die Kinder an Chilis, weil sie die Schärfe gewohnt sind.
Autor: Christine Brombach Dozentin für Ernährung und Konsumentenforschung, Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften

Mit der Zeit entwickelt das Kind den eigenen Geschmack. Je nach Kultur, je nach Familiengewohnheit, je nach Umfeld lernen wir, etwas zu mögen. Denn «mögen» bedeutet, sich an etwas gewöhnen. Nach acht- bis sechzehnmal kosten, haben wir uns an einen Geschmack gewöhnt.

Essen ist eine Botschaft ohne Worte

Natürlich ist der Geschmack individuell. Der Einen schmeckt, was der Andere nicht ausstehen kann. Vielleicht verbindet die Eine ein positives, der Andere ein negatives Erlebnis mit einem Lebensmittel. Das kann man rückblickend kaum nachvollziehen. Sozial betrachtet ist es jedoch wichtig, dass Erwachsene Speisen tolerieren können. Auch wenn sie nicht schmecken.

Geschmack hat ganz viel mit Identität, mit Zugehörigkeit, mit Heimat zu tun.
Autor: Christine Brombach Dozentin für Ernährung und Konsumentenforschung, Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften

Essen nährt und Essen schmeckt, hoffentlich. Essen heisst aber auch «sich erinnern». In Laufe des Lebens nehmen wir über 100 000 Mahlzeiten zu uns und die Geschmäcker werden im Gehirn mit Erinnerungen verknüpft. Wenn wir älteren Menschen diese Geschmäcker nicht mehr anbieten, dann nehmen wir ihnen einen Teil des Lebens. Denn:

Mögen und nicht mögen ist gelebtes Leben.
Autor: Christine Brombach Dozentin für Ernährung und Konsumentenforschung, Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften
Christine Brombach
Legende: Christine Brombach Dozentin für Ernährung und Konsumentenforschung, Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. zvg

Meistgelesene Artikel