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Spezielle Angewohnheiten Warum uns Ticks sogar gut tun können

Bevor man aus dem Haus geht, nochmals nachschauen, ob man den Herd ausgeschalten hat. Oder immer die Stufen zählen, wenn man die Treppe hochgeht. Viele Menschen haben kleine Marotten, auch Ticks oder Spleens genannt. Fanny Jimenez ist Wissenschaftsjournalistin und die wohl einzige Spleen-Expertin im deutschsprachigen Raum. 

Fanny Jimenez

Wissenschaftsjournalistin, Autorin und Psychologin

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Die promovierte Psychologin ist Expertin für Persönlichkeits- und Beziehungspsychologie und hat ein Buch mit dem Titel «Ich und mein Spleen: was wir tun, wenn wir allein sind» geschrieben.

Radio SRF 1: Haben Sie selbst auch einen Tick?

Fanny Jimenez: Natürlich. Wenn man gegenüber von mir an einem Tisch isst, schiebe ich ab und zu Dinge hin und her. Ich kann es nicht leiden, wenn Messerspitzen auf mich zeigen. Das finde ich so unangenehm, dass ich immer einen Brotkorb, eine Blumenvase oder ein Glas zwischen mich und das Messer schiebe. Dann fühle ich mich besser.

Ob Tick, Marotte oder Spleen, was meint man damit?

Damit meint man eine Eigenart oder eine Angewohnheit, die jemand hat, die auf den ersten Blick keinen Nutzen hat. Sie scheint überflüssig, irrational oder sogar besorgniserregend.

Wie kommt es zu einem Tick?

Ticks haben eine Funktion, nur ist sie nicht so offensichtlich. Sie sind wie unsichtbare Freunde, die uns helfen, die Welt ein wenig überschaubarer zu gestalten, unsere Unsicherheiten zu überspielen oder Ängste auszuhalten. Sie kommen, wenn wir uns zum Beispiel überfordert fühlen oder nervös sind und sie geben uns ein Gefühl von Kontrolle.

Schauen wir uns die Ticks aus dem SRF1-Moderationsteam an. Zum Beispiel Moderator Stefan Siegenthaler schaut immer aus dem Türspion und kontrolliert, ob jemand dort steht, bevor das Treppenhaus betritt.

Man kann die Spleens in Kategorien einteilen. Eine davon habe ich Vorsichtsmassnahmen genannt. Dazu gehört auch dieser. Für unser Gehirn ist die Welt unübersichtlich und es lauern viele Gefahren. Darum scannt es die ganze Zeit die Umgebung auf potenzielle Gefahren ab. Beim Beispiel mit dem Türspion sind Einbrecher im Kopf oder jemand, der im Treppenhaus ist, der aber nicht dort hingehört. Im Grunde macht es keinen Unterschied, ob er vorher durch den Türspion schaut oder nicht. Aber das Gefühl ist ein anderes, wenn man diese Vorsichtsmassnahme macht.

Welche Kategorien gibt es noch?

Viele Ticks haben mit Ordnung und Sauberkeit zu tun. Zum Beispiel ein Freund von mir ist Pilot und immer, wenn er nach einer mehrtägigen Reise nach Hause kommt, muss er putzen. Studien zeigen, dass Putzen beruhigt. Unser Gehirn verbindet Sauberkeit mit Klarheit und Struktur.

Und wie ist es mit Zahlen-Ticks? Zum Beispiel Moderatorin Tina Nägeli muss immer sieben Mal anstossen, wenn sie mit Leuten unterwegs ist und etwas trinkt.

Das macht sie wohl, weil es sich gut anfühlt oder, weil die Zahl sieben positive Assoziationen hat. Wir kennen das auch aus Märchen, dass sieben eine Glückszahl ist. Das Gehirn macht sehr viel mit Zahlen, weil es eine grosse Problemlösemaschine ist. Das hat nichts mit einer Zwangserkrankung zu tun, sondern mit einem Gefühl, mit dieser Zahl etwas Positives verbunden wird, oder mit einem Gefühl von Kontrolle.

Wie unterscheidet man eine Marotte von einer Zwangsneurose?

Der Unterschied besteht darin, dass man bei Zwangserkrankungen nicht mehr die Wahl hat, das Verhalten zu unterbrechen. Wenn man seine Schritte ständig zählt, man sein Verhalten aber unterbrechen kann und trotzdem seinen Plänen nachgehen kann, ist das normal. Sobald ein Leidensdruck dazu kommt, oder man es nicht schafft, seinen Alltag normal weiterzuführen, also man zum Beispiel zu spät zur Arbeit kommt, wird es schwierig.

Radio SRF 1, Nachmittagsstunde, 07.07.2023, 14 Uhr ; 

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