Die Verkaufszahlen von Schneeschuhen haben diese Saison stark zugenommen, zum Teil auch wegen Corona. Das ist erfreulich für den Sportfachhandel. Für die Natur und Tierwelt aber ein Grund zur Sorge. Dann nämlich, sagt Simon Meier von Wildtier Schweiz, wenn die Schneeschuhsportler unkontrolliert durch die Natur wandern und Wildtiere aufscheuchen.
SRF: Wie stark reagieren Wildtiere auf Störungen durch den Menschen?
Simon Meier: Die meisten Tiere reagieren zuerst mit erhöhter Aufmerksamkeit. Die Körpertemperatur und der Puls werden hinaufgefahren, das Tier macht sich fluchtbereit, versteckt sich oder flieht sogar. Während dieser Zeit benötigt das Tier viel mehr Energie, es werden Stresshormone ausgeschüttet und das Tier kann keine Nahrung zu sich nehmen. Passiert das immer wieder, wird das Tier immer schwächer.
Die Tiere sterben also am wiederkehrenden Stress?
Wenn sich die Störung zu oft wiederholt, verliert das Tier immer mehr Energiereserven und kann am Schluss an Erschöpfung sterben – erfrieren oder verhungern. Wenn das Tier nicht flieht, heisst das nicht, dass es nicht gestört wurde. Schon vor der Flucht gehen wertvolle Energiereserven verloren. Ausserdem zieht das Ganze einen Rattenschwanz mit sich: Geschwächte Tiere haben weniger, schwächeren oder gar keinen Nachwuchs. Diese Jungtiere starten dann schon schwächer ins Leben und haben wiederum wenig Überlebenschancen in folgenden Wintern. Störungen durch Menschen können also Auswirkungen auf eine ganze Generation von Wildtieren haben.
Wenn das Tier nicht flieht, heisst das nicht, dass es nicht gestört wurde. Schon vor der Flucht gehen wertvolle Energiereserven verloren.
Es drohen aber auch weitere Gefahren. Einzelne Tiere sterben in Lawinen oder geraten vor das Auto oder den Zug, wenn sie die schneeärmeren Talsohlen aufsuchen und dabei Strassen oder Bahnlinien queren müssen.
Gibt es Wildtierarten, die besonders gefährdet sind?
Stören kann man alle Wildtiere. Es gibt aber solche, die besonders sensibel reagieren und sich nur schlecht an die Menschen gewöhnen, zum Beispiel das Auerhuhn. Besonders gefährdet sind etwa auch Gämsen, die in höheren Lagen leben. Dort gestaltet sich die Nahrungssuche sowieso schon schwierig, weshalb die Tiere auf Ruhe angewiesen sind. Gebiete mit zum Beispiel stark frequentierten Tourenrouten werden teils komplett gemieden.
Kantone und Bund veröffentlichen jedes Jahr eine Fallzahlen-Statistik. Dort werden viele Tiere erwähnt, die in eine Lawine geraten sind oder an Erschöpfung starben. Wie genau sind diese Zahlen?
Die Dunkelziffer ist relativ gross, weil viele Tiere gar nicht gefunden werden, ihr Kadaver etwa Aasfressern zum Opfer fällt. Aber wenn die Daten immer gleich erhoben werden, können Trends oder Peaks erkannt werden.
In Jahren mit harten Wintern kann sich die Anzahl tot gefundener Wildtiere vervielfachen. Gerade dann benötigen die Wildtiere vor allem eines: Ruhe.
So dienen die Zahlen einem langjährigen Vergleich. Man kann beispielsweise besser einschätzen, was für Auswirkungen der Winter auf die Tiere hatte. In Jahren mit harten Wintern kann sich die Anzahl tot gefundener Wildtiere vervielfachen. Gerade dann benötigen die Wildtiere vor allem eines: Ruhe.
Schneesport mit Rücksicht
Ab wann wird der Mensch zu einem so grossen Problem, sodass gehandelt werden muss?
Wir Menschen haben gegenüber unseren Wildtieren eine Verantwortung und müssen ihren Lebensraum respektieren und bewahren. Mit Schutzzonen und Informationen an die Wintersportler kann man schon viel erreichen. Merkt man aber, dass in einer Region eine Population durch den Aufenthalt von Menschen stark zurückgeht, ist der Störfaktor zu gross.
Das Gespräch führte Marcel Hähni.