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Abhauen von zu Hause «Viele Jugendliche harren lange aus, bis sie sich Hilfe holen»

Vier Jugendliche aus dem Raum Schaffhausen machen sich letzten Freitag gemeinsam auf eine Reise. Was auf den ersten Blick romantisch klingt, ist der pure Horror für Eltern und Bekannte. Denn die zwei Buben und zwei Mädchen im Alter zwischen 13 und 15 Jahren sind von zu Hause abgehauen. Erst zwei Tage später wurden sie im Kanton Neuenburg von der Polizei aufgegriffen.

Lucas Maissen leitet das Schlupfhuus in Zürich, eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die es daheim nicht mehr aushalten.

Lucas Maissen

Institutionsleiter Schlupfhuus Zürich

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Maissen ist dipl. klin. Heil- und Sozialpädagoge, Psychologe und Notfallpsychologe. Er leitet seit elf Jahren das Schlupfhuus in Zürich.

SRF: Wie sieht das Angebot im Schlupfhuus aus?

Lucas Maissen: Die Jugendlichen in Not können sich telefonisch oder per Whatsapp bei uns melden und beraten lassen oder persönlich vorbeikommen. Im Gespräch versuchen wir herauszufinden, wo die Probleme liegen und welche Möglichkeiten es gibt, um diese zu lösen. Wenn Jugendliche gar nicht mehr nach Hause wollen oder können, bieten wir vorübergehend für maximal drei Monate einen Wohnplatz an.

Warum wollen Kinder oder Jugendliche weg von zu Hause?

Da gibt es viele verschiedene Gründe. Die meisten klagen über dauernden Streit, Abwertung und fehlende Aufmerksamkeit seitens der Eltern. Sie fühlen sich nicht ernst- oder wahrgenommen. Nebst psychischer spielen auch physische oder sexuelle Gewalt eine Rolle – teilweise über Jahre hinweg. Viele Jugendliche harren sehr lange in der Situation aus, bevor sie sich Unterstützung holen. Da ist der Leidensdruck sehr gross.

Mutter beschimpft Kind, das sich die Ohren zuhält.
Legende: Streit, fehlende Aufmerksamkeit, Gewalt: Es gibt viele Gründe, warum sich Kinder und Jugendliche ans Schlupfhuus wenden. Keystone/CLARENCE WILLIAMS;

Wie geht es dann weiter?             

Zuerst hören wir einfach zu und stellen viele Fragen. Wie lange dauert die Situation schon an? Gibt es weitere Unterstützung wie eine Therapie oder Verwandte, die helfen könnten? Was wäre eine gute Lösung? Wenn wir feststellen, dass eine massive Gefährdung des Kindeswohls besteht, gibt es die Möglichkeit, vorübergehend bei uns zu wohnen.

Welche Rolle spielen die Eltern?

Die Meinung und Anliegen der Eltern spielen eine grosse Rolle. Wir nehmen Kontakt mit ihnen auf, schildern die Situation und suchen gemeinsam nach Lösungen. Ziel ist es, dass die Betroffenen wieder nach Hause können. Dazu müssen beide Seiten aufeinander zugehen. Wenn die Eltern mit einer vorübergehenden Platzierung im Schlupfhuus auch nach den Gesprächen nicht einverstanden sind, oder das Wohl der Jugendlichen sehr gefährdet ist, müssen wir die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB beiziehen. Diese entscheidet dann, wie es weitergeht.  Meistens aber gibt es eine Lösung, die für beide Seiten vorerst passt.

Anlaufstellen bei familiären Problemen

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Es gibt einige Angebote und Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche, aber auch für Eltern, die mit der familiären Situation nicht mehr klarkommen.

Zu den bekanntesten zählen:

  • Die Notrufnummer 147 für Kinder und Jugendliche der Pro Juventute
  • Die Beratungsstelle Elternnotruf

Viele Anlaufstellen sind rund um die Uhr erreichbar, manche gar kostenlos.

Wie viele Jugendliche melden sich jährlich bei Ihnen?

Das Angebot wird rege genutzt. Wir haben pro Jahr zwischen 350 und 400 telefonische Beratungen. Dazu kommen die elf Wohnplätze, die stark ausgelastet sind. Wir müssen jährlich bis zu 160 Jugendliche abweisen, für die ein vorübergehender Aufenthalt bei uns sicher sinnvoll wäre. Da die Nachfrage derart gross ist, suchen wir schon seit längerem eine grössere Immobilie in Zürich, um einen zweiten Standort zu eröffnen. Es ist schade, wenn wir Jugendliche nicht aufnehmen können, die sich überwunden haben, Hilfe zu holen.  

Das Gespräch führte Luk von Bergen.

Radio SRF 3, Aktuell, 19.02.2024, 16:10 Uhr ; 

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