Aufräumen, strukturieren, organisieren: Überall wird Ordnung gepriesen und gefördert. Chaos hingegen wird gerne unterschätzt und belächelt. Dabei steckt darin ein grosses Potential, erklärt der Chaos-Experte und Kreativität-Forscher Paolo Bianchi.
Paolo Bianchi, sie plädieren für mehr Unordnung respektive sagen: «Hört auf aufzuräumen».
Wenn jemand mir sagt, ich müsse aufräumen, dann bekomme ich Kopfschmerzen und denke: «Wozu ist das gut?!». Wenn ich in einem kreativen Schaffensprozess stecke, dann habe ich eine eigene, individuelle Ordnung, die mich beflügelt und begeistert. In einer solchen Situation das Chaos aufräumen, kommt für mich nur dann in Frage, wenn es darum geht, zu einer ganz neuen Freiheit zu kommen, also einen Raum zu weiten. Aufräumen wäre in diesem Sinne, wie umräumen, verräumen und durchlüften des Raums.
Welches Potential sehen Sie im Chaos?
Chaos ist immer der Anfang von etwas Neuem, es markiert Übergange. Dinge lösen sich auf, damit sich Neues bilden kann und der Horizont sich plötzlich weitet. Was vorher verwickelt war, beginnt sich zu entwickeln, wir entwickeln uns weiter. Während Ordnung stur, starr und objektiv ist, ist Chaos fluid, flüchtig und subjektiv. Diese zwei Pole erzeugen eine Spannung und im Zwischenraum zwischen beiden sehe ich das Potential.
Wieso scheinen Menschen diese Spannung so schlecht auszuhalten?
Der Mensch ist tendenziell der logischen Ordnung verfallen. Bereits als Kind hören wir, dass wir Ordnung halten sollen oder das unser Leben in geordneten Bahnen verlaufen soll. Damit bestimmen Gesetz und Ordnung ganz stark unser Denken. Es ist aber auch ein menschliches Grundbedürfnis nach Struktur, Halt und Sicherheit.
Und trotzdem sagen Sie, wir sollten dem Chaos mehr Platz einräumen.
Damit wir mit Problemen oder Konflikten umgehen können, in Krisen nicht hektisch werden, müssten wir uns vermehrt dem Chaos aussetzen, die Unsicherheit trainieren und sie als Entwicklungschance betrachten. Dazu gehört auch Fehler zu machen und etwas zu riskieren.
Es wäre also überlebenswichtig?
Ja, weil wir mit dem logischen Ordnungsdenken in solchen Situationen schnell an unsere Grenzen kommen. Und dann stellt sich die Fragen, wo die Leute sind, die Gegensteuer geben oder querdenken. Querdenken im Sinne von Dinge anders sehen und über den Tellerrand hinausschauen. Ein schönes Beispiel dafür ist das Werk von Pablo Picasso, in welchem er einen Fahrradsattel und Fahrradlenker neu kombiniert, so dass der Schattenwurf einen Stierkopf zeigt. Er kombiniert bestehendes neu – einfach gemacht, komplex gedacht.
Kann man das trainieren?
Es gibt bremsende, aber auch antreibende Moment des Chaos. Zum Beispiel kann man aus gewohnten Strukturen ausbrechen. Man kann experimentieren, sich aufs Glatteis der Intuition begeben, den Fokus nach Innen richten, anstatt sich an vorgegebenen Strukturen zu orientieren.
Chaos und Ordnung
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Die «Input»-Redaktorinnen Sabine Meyer und Patricia Banzer gehen im zweiteiligen «Input»-Podcast dem Thema Ordnung und Chaos nach.
Der Grund: Sie sind in diesem Punkt charakterlich sehr verschieden. Sabine Meyer ist ordentlich, Patricia Banzer fühlt sich eher vom Chaos angezogen. Warum ist das so? Und: Wo steckt in den beiden Konzepten das Potential, die Notwendigkeit, die Schönheit?
Auf der Suche nach Antworten sprechen sie mit unterschiedlichsten Menschen über die Bedeutung von Chaos und Ordnung in ihrem Leben: Einer Dirigentin, einem Psychologen, einer Musikerin, einem Biologen und einer Fotografin.
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