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Der Wert der Dinge Die wundersame Reise meines Bildes

Wer bestimmt, ob ein Objekt überlebt oder eben nicht? Der Markt – und persönliche Präferenzen. Auf der Suche nach den Spuren ihres Jugend-Bildes, welches mysteriöserweise nach 20 Jahren wieder aufgetaucht ist, begegnet Patricia Banzer geschäftigen Händlern und leidenschaftlichen Sammlern.

Es begann mit einer E-Mail von einem Herrn Feurer. «Ein gutes Bild von einer Patricia Banzer ist bei mir in der Kunstsammlung am Bodensee gelandet», stand da. «Vielleicht interessiert das jemand?». Im Anhang Fotos eines Ölbildes, welches ich mit 18 Jahren gemalt – und weggeschmissen hatte. Dachte ich zumindest. Ich wurde neugierig: Wie ist es nach über 20 Jahren aus dem Abfall meiner Jugend in der Ostschweiz gelandet? Kann ich seinen Weg rekonstruieren und etwas über den Wert von Objekten erfahren?

Häufig ist die erste Antwort der Nachkommen: Weg mit allem! Das ist nicht richtig»
Autor: Angelo Selvaggi Zügelunternehmer

Nach einigen Nachforschungen wurde klar: Beim Umzug meiner Eltern ist es nicht im Abfall sondern in den Händen eines Zügelunternehmers gelandet: Angelo Selvaggi. Dieser macht Räumungen, verwaltet Erbschaften und versucht Nachkommen häufig zu überzeugen, sich nicht leichtfertig von Objekten zu trennen. Besonders von denen mit Familienbezug. Alles habe seinen Wert.

Mann in Möbellager
Legende: Ein zweites Leben für Objekte Angelo Selvaggi lagert Nachlässe und Objekte, die er wieder in Umlauf bringen möchte SRF

Etwas, das ihm in seiner Kindheit in Süditalien eingetrichtert worden sei. In seinem fast 1000 qm grossen Lager stehen Erbschaften neben Objekten von Zwangsräumungen und zahlreichen Dingen, in denen er ein Potenzial für ein zweites Leben sieht. Mein Bild war eines davon. Wem er es verkauft oder geschenkt hatte? Leider keine Ahnung mehr. Die Schweiz sei ein Land von Sammlern und Händlern.

Es gibt einen Markt für alles. Das Netzwerk ist riesig, der Graubereich ebenfalls
Autor: Angelo Selvaggi Zügelunternehmer

Mit den Dingen, die Angelo Selvaggi bei seinen Räumungen oder Inventarisierungen antrifft, könnte er Bücher füllen. Jede Wohnung berge Spannendes. Kürzlich hat er eine Orangenpapier-Sammlung entdeckt, vor zwei Jahren 3 kg Gold in einem Blumentopf, eine bekannte Dame hinterliess eine Kollektion von Bohrmaschinen. Er trifft auf Spuren persönlicher Leidenschaften – und häufig auch Spuren von Einsamkeit. Er schüttelt den Kopf: In der Schweiz habe man keine Zeit für alte Leute.

Drei Abdrücke, welche Bilder auf der Wand hinterlassen haben.
Legende: Es war einmal Spuren von 40 Lebensjahren werden bei der Räumung sichtbar. SRF

In den 20 Jahren, die mein Bild durch verschiedene Hände der Schweiz gereist ist, ist der Online-Handel explodiert. Nur schon beim Internetauktionshaus Ricardo wurden letztes Jahr 7 Millionen Objekte verkauft. Eines davon mein Bild. Wie ich ein paar Wochen später nach zahlreichen Telefonaten doch noch herausfinde. Über zwei Zwischenhändler, die es für wenige Franken versteigert hatten ist es schliesslich bei Erwin Feurer, Kunstsammler am Bodensee gelandet, ersteigert für ca. 50 Franken. Nicht schlecht, denke ich.

Grauhaariger Mann in einem Lager mit Bildern und Möbeln
Legende: Ein Bild taucht auf Erwin Feurer mit Patricia Banzers Jugend-Bild, welches er über Ricardo ersteigert hat. SRF

Warum es dieser gekauft hat? «Es hat mich einfach angesprochen. Die Farbkomposition. Die Bewegung», sagt der 72-Jährige, dessen Fokus normalerweise auf der Art Brut liegt. Seit Jahrzehnten kauft er Gemälde von Unbekannten, Namenlosen, Vergessenen, um diese zu würdigen. Kreativität sei viel wichtiger als verkopfte Kunst. Und manchmal kaufe er auch spontan andere Bilder - mit unbestimmten Ziel aber bestimmten Bauchgefühl.

Es gibt keine Zufälle. Jedes Bild sucht sich seinen Platz selbst aus. Auch jedes Objekt
Autor: Erwin Feurer Kunstvermittler

Dass sich seine Kunst jedoch nicht gerade gut verkauft, störe ihn grundsätzlich nicht weiter: «Geld hat man immer zu wenig». Dennoch will er sein «mechanisches Hirn» an den digitalen Shift in der Kunstwelt gewöhnen. Deshalb informiert er sich über NFTs und hat gerade die digitalen Rechte einiger seiner Künstler verkauft. Wer weiss, was die Zukunft bringt.

Vier Menschen haben also mit meinem bescheidenen Jugendbild gehandelt. Welche Objekte überleben, hängt von ihrem Marktwert ab, aber auch von den persönlichen Vorlieben und dem spontanen Entscheid von Menschen, ihnen eine zweite Chance zu geben. Erwin Feurer will mir mein Bild zurückschenken. Ich überlege, lasse es dann aber lieber weiterreisen und bin gespannt, ob es wieder auftauchen wird.

SRF 3 Donnerstag 24. Februar 2022, 10:10 Uhr

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