Das Neujahrsfest in China hat vieles mit Weihnachten gemeinsam. Die Familie kommt zusammen; man feiert und isst zusammen. Bei der Bescherung gibt es jedoch Unterschiede: Die Erwachsenen schenken den Kindern Bargeld und wie es sich für Geldgeschenke in China gehört, werden die Scheine in einem roten Umschlag überreicht.
Ein alter Brauch kommt ins Internet
Kurz vor dem Neujahrsfest lancierte der chinesische Internetkonzern Tencent einen Dienst, mit dessen Hilfe sich Chinesen gegenseitig virtuelle rote Umschläge schicken können. Die Geldbeträge werden dabei direkt dem Bankkonto des Beschenkten gutgeschrieben. Anders als in der Wirklichkeit kann ein Umschlag auch an eine Gruppe von Freunden geschickt werden.
Doch die App funkt dann dazwischen: Sie verteilt den Betrag nicht gerecht auf alle Freunde, sondern bevorzugt einzelne Mitglieder der Gruppe. Schickt jemand zum Beispiel 100 Yuan (circa 15 Franken) an 5 Personen, so bekommt einer vielleicht 60 Yuan, die anderen bloss 10 oder 15 Yuan.
Die App verbindet so einen alten chinesischen Brauch mit Elementen des Glückspiels – eine brisante Mischung, die offenbar zündet. Der Dienst erfreut sich grosser Beliebtheit in China und verbreitet sich zurzeit schnell über das soziale Netzwerk WeChat .
Das Beste aus allen Welten
Die WeChat-App erinnert an eine Kreuzung aus WhatsApp, Skype und Facebook. Man plaudert mittels Textnachrichten wie bei WhatsApp, publiziert Statusberichte mit Fotos auf einer Timeline wie bei Facebook, führt live Gespräche wie bei Skype – alles mit einer App, mit der man auch noch spielen kann.
Für Tencent ist der neuste Dienst zum Überweisen von virtuellen roten Umschlägen mehr als nur eine Spielerei. Die Firma versucht so, die Nutzer dazu zu bringen, ihr Bankkonto mit WeChat zu verknüpfen. Ist diese Hürde einmal genommen, so die Hoffnung, dann werden die Kunden in Zukunft auch kleinere Beträge für eines der Produkte ausgeben, die WeChat anbietet. Dazu gehören neben Games auch animierte Emoticons – kurze Trickfilme, die einen Gemütszustand wiedergeben und die sich in China grosser Beliebtheit erfreuen.
Eine der grössten Internet-Firmen
Tencent blickt auf eine lange, erfolgreiche Geschichte zurück: Die Firma wurde 1998 gegründet und ist heute an der Börse fast gleich viel Wert wie Facebok. Alles begann mit dem Chat-Dienst QQ. Die Firma war eine der ersten, die merkte, dass man auch mit kleinen Beträgen und vielen Nutzern mit einem Chat-Dienst Geld verdienen kann: Tencent verkaufte für wenig Geld sogenannte Avatars – Figuren, mit denen sich die Nutzer im Netz präsentieren.
Neben dem Geschäft mit Kleinstbeträgen, sogenannten Micro-Payments, versucht Tencent auch in andere Gebiete vorzustossen. Zum Beispiel auf Geldüberweisungen wie von einer Bank – nüchterne Transaktionen, ohne die verspielte Metapher eines roten Umschlages. Nimmt man die Popularität des neuen Dienstes als Massstab, dann geht die Strategie von Tencent einmal mehr auf.