Den Bubentraum vom Lokführer werden heutige Jungs womöglich nicht mehr verwirklichen können. Der einstige Prestigeberuf könnte bald aussterben, denn die Automatisierung schreitet immer weiter fort. Unter der Erde fahren Züge bereits in verschiedenen Städten vollautomatisch, zum Beispiel in Barcelona, Budapest, São Paulo, im chinesischen Guangzhou oder in Paris. Und Sydney will bis 2019 eine führerlose S-Bahn realisieren – über der Erde.
Ein kleiner Schritt
Rein technisch betrachtet würden auch Schweizer Bahnen schon heute auf vielen Strecken keine Lokführer mehr benötigen. Im Lötschberg-Basistunnel etwa gibt es keine Aussensignale mehr. Der Lokführer hat auf dieser Strecke wenig zu tun, erklärt Roland Pfaffen, der Leiter Betrieb bei der BLS: «Es ist eigentlich ein kleiner Schritt, bis der Verkehr vollautomatisch fahren könnte.»
Dennoch dürften bei den Bahnen in den nächsten Jahren Lokführer noch gebraucht werden. Nicht nur, weil wir Kunden wohl noch etwas Zeit brauchen, uns in einem «führerlosen» Zug wohl zu fühlen, sondern auch, weil die Technik noch nicht vollumfänglich bereit ist für automatische Züge.
Die BLS zum Beispiel muss erst noch die 3. Etappe des Ausbaus der Betriebszentrale abschliessen, bis wirklich das gesamte Netz von Spiez aus gesteuert werden kann – eine Grundvoraussetzung für autonome Züge. Das wird in fünf Jahren der Fall sein. Dieses Jahr hat die BLS den Bahnhof Huttwil automatisiert – auch er und der Streckenabschnitt in dieser Region werden nun von Spiez aus gesteuert. Und der Bahnhofvorstand von Huttwil wurde pensioniert.
Mensch-Maschine-Beziehung
Die heutigen «Bahnhofvorstände» arbeiten nicht mehr bei den einzelnen Bahnhöfen, sondern zentral in der Betriebszentrale in Spiez. Die spezialisierten Fachpersonen überwachen und steuern von hier aus das Schienennetz zusammen mit Algorithmen – dem «Eisenbahn-Roboter». Sein Hirn befindet sich in einem hoch abgesicherten Raum voller Server-Schränke; die Menschen stehen oder sitzen ein Stockwerk weiter oben vor jeweils zehn Monitoren, es sind vor allem Disponenten und Fahrdienstleiter. Jeder ist für einen Abschnitt des Eisenbahnnetzes zuständig.
Der Disponent überwacht den Zugsverkehr. Er sieht auf seinen Monitoren alle Züge eines Bereichs des Streckennetzes, wie lange und wie schwer die Züge sind und er erkennt Verspätungen. Dann ist er gefordert: Zwar berechnet der Algorithmus des « Rail Control Systems » (RCS) eine Prognose für die künftige Fahrt – doch der Disponent muss daraus ableiten, welche Auswirkungen das für andere Züge haben könnte. Um den ganzen Verkehr am Laufen zu halten muss er dann zum Beispiel den Ort verändern, bei dem sich zwei Züge kreuzen werden.
Ein Iltis für den Zugverkehrsleiter
Für die effektive Umsetzung der Wünsche des Disponenten ist der Zugverkehrsleiter zuständig. Auch er erhält Hilfe von einer Maschine. Ihr Name: Iltis (Integrales Leit- und Informationssystem).
Dank Iltis kann der Zugverkehrsleiter Gleise umprogrammieren. Indem er Weichen und Signale stellt, kann ein Zug beispielsweise seine Verspätung wieder aufholen. «Das sind zwei, drei Handgriffe und dann geht das automatisch, eine Sache von Sekunden» sagt Roger Beutler, der in Spiez für den reibungslosen Betrieb der ganzen Zentrale verantwortlich ist.
Meistens kann der Zugverkehrsleiter den «Roboter» aber arbeiten lassen, denn der ganze Fahrplan ist einprogrammiert und deshalb weiss das Elektronikhirn immer, welche Weiche und welches Signal wie gestellt sein muss, damit es keine Kollisionen gibt. Sicherheit geht vor und ist neben Personaleinsparungen der Hauptgrund für die Automatisierung und Fernsteuerung bei den Bahnen: Ohne die Intelligenz im Hintergrund könnte das Eisenbahnnetz gar nicht so dicht befahren werden, wie es heute geschieht.
Noch braucht's Lokführer (umso mehr)
Die Intelligenz kommt auch dem Lokführer zugute: Er sieht heute jederzeit die für ihn wichtigen Informationen und Anweisungen zu seinem Zug auf einem Monitor im Führerstand und kann danach handeln. Theoretisch könnten diese Daten direkt die Steuerung der Lokomotive übernehmen und dies wird irgendwann auch der Fall sein.
Noch aber haben menschliche Lokführer genug zu tun – doch ihr Job scheint kein Bubentraum mehr zu sein: Die SBB hat einen so starken Fehlbestand, dass sie bis 2017 rund 500 neue Lokführer ausbilden muss, wenn ihre Züge ab dann nicht stehen bleiben sollen.
Guido Strässle, Zugverkehrsleiter bei der SBB
Ein Video aus dem Themenschwerpunkt « Computer im Beruf ».