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Empörung über Katar Wird die Fussball-WM auf der ganzen Welt kritisiert?

Selten hat eine Fussball-Weltmeisterschaft so viel Kritik und Aufruhr ausgelöst wie die WM in Katar – zumindest in Westeuropa.

Unmenschliche Arbeitsbedingungen für Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, Tausende Tote beim Stadionbau, Diskriminierung von queeren Menschen, Korruption bei der WM-Vergabe – die Liste von Kritikpunkten an der Fussball-Weltmeisterschaft in Katar ist lang.

Sport im Vordergrund

Doch während in Westeuropa diese Kritik sehr präsent ist, steht in anderen Teilen der Welt der Sport im Vordergrund. Im Nahen Osten ist die Begeisterung über die erste Fussball-WM in dieser Region riesig, wie SRF-Nahost-Expertin Susanne Brunner sagt: «Die Menschen im Nahen Osten sind komplett fussballfanatisch. Alle schauen im Moment Fussball.» Ähnliches beobachtet Osteuropa-Korrespondentin Sarah Nowotny in Polen: «Vor dem ersten Spiel gab es in Warschau noch mehr Stau als sonst: Alle wollten nach Hause, um das Spiel zu sehen. Ein Mann schaute sich das Spiel sogar auf dem Operationstisch an – während er operiert wurde!»

Die WM ist für die Menschen in Südamerika eine willkommene Abwechslung in einem komplizierten Alltag.
Autor: Karen Naundorf SRF-Südamerika-Korrespondentin

In den USA wurde die WM im Vorfeld zwar heftig kritisiert, doch nun konzentriere man sich aus Respekt vor den Spielern auf den Sport: «Die Menschen sind der Meinung, dass die Spieler ja nichts dafür können, dass die WM in Katar stattfindet. Sie finden die Kritik scheinheilig: Man habe 12 Jahre Zeit gehabt, um Katar und die Fifa zu kritisieren, nun stehe der Sport im Vordergrund.» Sagt Barbara Colpi, SRF-Korrespondentin in Washington.

Keine grösseren Protestbewegungen

In Argentinien hätten die Kinder schulfrei, wenn das Nationalteam spiele, sagt Südamerika-Korrespondentin Karen Naundorf: «Die WM ist für die Menschen in Südamerika eine willkommene Abwechslung in einem komplizierten Alltag, der in den meisten Ländern von wirtschaftlichen Problemen geprägt ist.» Die grossen Proteste blieben aus. Dies, obwohl man in Chile und Argentinien durchaus einen kritischeren Umgang mit der WM hätte erwarten können. Aufgrund der eigenen dunklen Vergangenheit, wie Karen Naundorf sagt: «In den 70er-Jahren liess die Fifa in beiden Ländern Spiele durchführen, während diese von brutalen Militärjuntas regiert wurden. In Argentinien wurde 1978 sogar eine WM durchgeführt. Das wurde immer wieder kritisiert.»

Die Menschen aus dem Nahen Osten sind schockiert von der Kritik aus dem Westen.
Autor: Susanne Brunner SRF-Nahost-Expertin

Auch in Afrika blieb der Aufschrei aus – aus dem traurigen Grund, dass Menschenrechtsverletzungen für die Menschen aus Ostafrika nichts Neues sind, wie Afrika-Korrespondentin Anna Lemmenmeier sagt: «Man hört immer wieder schlimme Geschichten, wie afrikanische Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten in Katar und anderen Golfstaaten ausgebeutet und misshandelt werden. Gewisse Menschen kommen nie mehr nach Hause.» Und auch die Korruption bei der WM-Vergabe hat keine grössere Empörung ausgelöst. In Afrika, Südamerika und im Nahen Osten ist man sich korrupte Regierungen gewohnt.

Kritik an der Doppelmoral des Westens

Im Nahen Osten wird nicht Katar, sondern der Westen kritisiert, wie Susanne Brunner sagt: «Die Menschen aus dem Nahen Osten sind schockiert von der Kritik aus dem Westen. Sie finden es heuchlerisch, weil sich Europa sonst auch nicht um die Menschenrechte im Nahen Osten foutiere.» Dass verschiedene westliche Fernsehstationen die Eröffnungsfeier der WM in Katar nicht übertragen haben, habe die Menschen aus dem Nahen Osten getroffen. Die Einschätzungen der SRF-Korrespondentinnen zeigen: Die Fussball-WM wird in anderen Teilen der Welt ganz anders wahrgenommen als in Westeuropa.

Radio SRF 3, 29.11.2022, 8.50 Uhr

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