Die Samariter und Sicherheitsmitarbeiter werden sich darauf einstellen müssen, dass bei Travis Scotts Vortrag von «Sicko Mode», seiner Nummer-1-Single in den USA, Schwerstarbeit auf sie zukommt.
Eskalation im Publikum zu bassgetränkter Musik; 60 Schläge pro Minute langsam, verzerrt und inhaltlich stark codiert. Da sitzt kein Schlagzeuger, der sich die Hände wundhaut. Da steht kein Gitarrist, der laufend die Gitarre wechselt.
Auf der Bühne steht Travis Scott, der zur Zeit grösste Trap-Star und Ikone einer neuen Generation von Konzertgängern, die sich sehr nahe an der Energie der Punk-Konzerte vor knapp 40 Jahren bewegt.
Hustensaft statt Bier
Wie damals in den Siebzigern mit Punk, grenzen sich Junge und Junggebliebene heute mit diesem Musikstil aus Atlanta gegen ihre Eltern und das Spiessertum ab. Die Tattoos verzieren im Trap die Gesichter und nicht mehr die Oberarme, Bier und Heroin wird ersetzt mit codeinhaltigem Hustensaft und Limo, und statt der Gitarre wird im Trap nun die Stimme verzerrt.
Der Effekt ist derselbe wie beim Punk vor rund 40 Jahren: Die Eltern und Lehrer verstehen die nonkonforme Haltung und Mode der Jungen nicht mehr – die Jungen freuen sich darüber, wenn sich die Eltern und Lehrer nerven. Vor der Bühne und in den Festzelten herrscht eine Atmosphäre, die ich zuletzt an den Punkrock-Konzerten in den Neunzigern erlebte. Es ist als wären Travis Scott und Co. der neue Kurt Cobain.
Trap wird zur Popkultur
Ähnlich wie sich der Punk zur Popkultur mauserte, wird sich auch Trap entwickeln. Im Jahr 2018 fanden die drei Tage Openair Frauenfeld vor einem Trap-Publikum von 180'000 Menschen statt. Diese Zahlen lassen sich nicht manipulieren, hacken oder über Klickfarmen kaufen.
Die Szene bewegt sich in Europa noch im Untergrund und fühlt sich dort wohl. In den USA hingegen zählt Travis Scott mittlerweile zu den grössten Popstars und schreibt auch Songs für Rihanna.
Streaming- und Followerzahlen auf den Profilen von Künstlern wie Pronto (CH), Trettmann (D) oder Ufo361 (D) zeigen aber deutlich: lange wird es der Trap im Untergrund nicht mehr aushalten. Er streckt seine Fühler in Richtung Pop aus und dringt dort auch immer wieder erfolgreich durch.
Lo & Leduc tun es, Ed Sheeran tut es
Lo & Leducs «079» wird immer noch als Popsong wahrgenommen, aber streng betrachtet ist die Instrumentalspur des Hits ein Trap-Beat.
Immer öfter bedienen sich etablierte Popstars im Trap-Genre. Ed Sheeran veröffentlicht am 12. Juli sein neues Album mit Trap-Künstlern wie Travis Scott, Cardi B oder Young Thug.
Hinhören
Der Siegeszug von Trap lässt sich nicht aufhalten, und es lohnt sich hinzuhören. Travis Scott, Cardi B, Ufo361, Pronto und all ihre Brüder und Schwestern haben etwas zu erzählen.
Manchmal muss man zweimal hinhören, um es zu verstehen – das gehört zu dieser Kunst. «Anarchy In The U.K.» von den Sex Pistols hat man damals auch nicht beim ersten Hinhören verstanden. Der Song ist heute trotzdem ein Klassiker. Ähnliches könnte mit Travis Scotts «Sicko Mode» (Video siehe oben in diesem Artikel) passieren.