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Hänseln, dissen, ausschliessen «Mobbing belastet Menschen ein Leben lang»

Fast 600 Anrufe wegen Mobbing und Cyber-Mobbing: Das ist die letztjährige Bilanz der Nummer 147, dem kostenlosen Beratungstelefon der Pro Juventute für Kinder und Jugendliche. Im Vergleich zu 2019 ist die Nachfrage um 70 Prozent gestiegen. Mobbing-Expertin Bettina Dénervaud von der Fachstelle Hilfe bei Mobbing will für das Thema sensibilisieren. 

Bettina Dénervaud

Fachberaterin Mobbing

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Dénervaud arbeitet bei der Fachstelle Hilfe bei Mobbing. Die Fachstelle führt unter anderem Direktinterventionen an Schulen zum Thema Mobbing durch und bietet fachliche Beratung für Eltern und Schulen.

SRF: Wird heute mehr gemobbt als früher?

Bettina Dénervaud: Einen Vergleich mit früher zu ziehen, ist schwierig, da entsprechende Zahlen fehlen. Generell sind Schulen stärker aufs Thema sensibilisiert und eher bereit, Muster anzuschauen, die über ein normales Konfliktverhalten hinausgehen.

Mobbing findet heute auch online statt. Wo genau?

Cyber-Mobbing kann auf jeder Plattform stattfinden. Es wird zum Beispiel in Klassen-Chats gemobbt, auf Tiktok, Instagram, aber auch auf Gaming-Plattformen mit Chat-Funktion. Zudem findet Mobbing auch auf dem Pausenplatz, in der Schule, auf dem Schulweg und in der Freizeit statt.

Was ist Mobbing?

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Beim Mobbing handelt es sich um wiederholtes und systematisches Schikanieren, Hänseln, Drohen, Beschimpfen, Herabsetzen, Blossstellen, Ausgrenzen, Demütigen. Betroffene Personen werden dabei gezielt niedergemacht. Ziel des oder der Täter ist es, sich selbst mächtiger zu fühlen.

Mobbing…

  • richtet sich meist gegen Einzelpersonen
  • beruht auf Dynamiken, die jederzeit entstehen können
  • kann verbal, via Social Media, physisch oder psychisch stattfinden
  • ist eine Form des Machtmissbrauchs und hat nichts mit begründeter Kritik zu tun
  • verletzt immer die Würde und Integrität einer Person
  • zielt häufig auf persönliche Schwächen, ethnische Herkunft oder andere Dinge ab
  • findet nicht vor Erwachsenen oder Lehrpersonen statt
  • ist kein einmaliger Streit oder Konflikt
  • beginnt oft schleichend und nicht immer klar erkennbar
  • wird meist von einem oder mehreren Tätern/Unterstützung ausgeübt

Hilfe für betroffene Kinder, Jugendliche, deren Eltern und Schulen gibt es bei Fachstellen wie der Pro Juventute oder der Fachstelle Hilfe bei Mobbing.

Wer mobbt eigentlich?

Das lässt sich nicht abschliessend beantworten. Täterinnen und Täter sind meistens selbst unsicher. Manche sind zudem in ihrer Entwicklung verzögert.

Mobbing hat in fast jedem Fall psychische Auswirkungen, teilweise bis ins Erwachsenenalter.

Beim Mobbing versuchen sie ihre Unsicherheit zu kompensieren, indem sie Macht über andere ausüben. Das gibt ihnen das Gefühl von Stärke, Sicherheit und Überlegenheit. 

Welche Rolle spielt das familiäre Umfeld?

Es gibt Studien, die zeigen, dass Täter in ihrem familiären Umfeld oft etwas verloren oder unter Druck sind. Wir erleben auch, dass ehemalige Mobbing-Opfer in einem anderen Setting – zum Beispiel nach einem Klassenwechsel – selbst zum Täter werden, um dieses Mal zu den Stärkeren zu gehören und zu verhindern, wieder gemobbt zu werden.

Besonders perfid ist es, wenn gemeinsames Mobbing eine Gruppe zusammenschweisst.

Das kommt vor. Aber es geht nicht allen, die aktiv oder passiv mitmachen, gut dabei. Viele beteiligen sich aus Angst oder Unsicherheit. Gleichzeitig leiden sie unter der Situation und es fehlt der Mut, etwas dagegen zu tun.

Was macht Mobbing mit einem Kind?

Mobbing hat in fast jedem Fall psychische Auswirkungen, teilweise bis ins Erwachsenenalter. Bei den Kindern sind es oft psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Schlafprobleme bis hin zu depressiven oder selbstverletzenden Symptomen. 

Aber der wichtigste Punkt: Mobbing verursacht mangelndes Selbstwertgefühl, was Betroffene ein Leben lang begleiten kann.

Wie kann Mobbing gestoppt werden?

Kinder können sich kaum selbst aus einem Mobbing-Konstrukt befreien. Oft wagen sie es auch nicht, mit Erwachsenen darüber zu sprechen. Aber genau das wäre wichtig. Darüber sprechen – ob mit den Eltern, der Lehrperson und mit Fachpersonen.

Mobbing kann nicht vom Küchentisch aus gelöst werden.

Wie können Eltern reagieren?

Dem Kind signalisieren, dass das schlimm ist, was mit ihm passiert. Wichtig ist, dabei empathisch zu sein und nicht zu emotional zu reagieren oder etwas Unbedachtes zu unternehmen. Dann den Kontakt suchen mit den Lehrpersonen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Kann das die Situation fürs Kind in der Schule nicht auch noch schlimmer machen?

Doch, aber den Beteiligten muss klargemacht werden, dass ihr Verhalten nicht toleriert wird, dass es Grenzen und Konsequenzen gibt. Wichtig ist, die Situation möglichst früh zu erkennen und anzugehen. Mobbing kann nicht vom Küchentisch aus gelöst werden. Eltern können unterstützend wirken, letztlich sind Schulen und Fachpersonen gefragt.

Das Gespräch führte Anna Zöllig.

Radio SRF 3, 8.10.2025, 10:15 Uhr ; 

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