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Fantasiefreunde bei Kindern: Kein Grund zur Sorge!
Aus Input vom 17.02.2021. Bild: Privat
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Input Fantasiefreunde bei Kindern: Kein Grund zur Sorge

Fast jeder kennt das Phänomen – von sich selbst oder aus dem Umfeld: Ein Freund, der nur im Kopf des Kindes existiert. Grund zur Sorge sind imaginäre Gefährten nicht, im Gegenteil: Sie helfen Kindern, Gefühle und Erlebnisse zu verarbeiten.

Der dreijährige Moritz und ich sitzen auf seinem Bett. Wobei sein Bett aktuell gerade ein grosses Schiff ist.

Ich: Wo fahren wir hin?

Moritz: Nach Adelboden!

Ich: Super! Eine Bootsfahrt von Winterthur nach Adelboden. Wollen wir noch Bottol mitnehmen?

Moritz: Er kommt nicht.

Bottol existiert nur in Moritz’ Fantasie. Es ist sein Fantasiefreund oder sein imaginärer Gefährte, wie es im Fachjargon heisst.

Warum kommt er nicht?

Jetzt in der Corona-Zeit kann er mich eben nicht besuchen.

Bottol lebt nämlich nicht in der Schweiz. Regula, die Mutter von Moritz, wird mir später erzählen, dass der imaginäre Gefährte vor einigen Monaten aufgetaucht sei. Sie mag Bottol und sieht nichts Schlechtes in ihm, im Gegenteil: «Mit Bottol kann sich Moritz erklären, was um ihn herum passiert. Er hilft ihm, sich in der Welt zurechtzufinden und Erlebnisse zu verarbeiten.»

Fantasiefreunde helfen Kindern

Das sei eine wichtige Funktion von Fantasiefreunden, bestätigt die Psychologin Ina Blanc. «Fantasiefreunde helfen, die Welt zu strukturieren und zu ordnen». Und mit Fantasiefreunden können Kinder Verhaltensweisen einüben und erproben. «Fantasiefiguren helfen Kindern auch, ihre Gefühle auszudrücken und zu regulieren.»

Wie sieht Bottol aus?

Er trägt ein blaues T-Shirt und sein Kind heisst Chrikri.

Er hat ein Kind?

Ja!

Ist Bottol denn erwachsen?

Ja! Und er hat auch eine Frau. Sonst hätte er ja kein Kind.

Logisch.

Und er zählt in Italien Vögel.

Zwischen 25 und 65 Prozent aller Kinder haben Fantasiefreunde. Die Zahl ist so ungenau, weil das Phänomen nur wenig erforscht ist: Es ist schwierig, mit Kindern über so etwas Intimes zu reden. «Oft bleibt der imaginäre Gefährte auch unentdeckt, weil das Kind nicht darüber spricht», sagt Ina Blanc.

Gesprächspartner oder Spielgefährten

Imaginäre Gefährten können moralische Ratgeber sein oder Sündenböcke für zerbrochene Vasen. Sie können aber auch einfach Gesprächspartner und Spielgefährten sein. Eine der wenigen und die wohl wichtigste Forscherinnen auf dem Gebiet ist die US-Amerikanerin Marjorie Taylor. Sie stellte fest, dass oft Einzelkinder oder Erstgeborene einen Fantasiefreund haben, weil sie sich einsam fühlen. Beim Einzelkind, weil ein Spielkamerad fehlt, beim Erstgeborenen, weil der kleine Bruder oder die kleine Schwester die Aufmerksamkeit der Eltern bekommt.

Ina Blanc

Ina Blanc

Kinderpsychologin

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Ina Blanc ist Psychologin am Zentrum für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie der Uni Basel. Sie ist spezialisiert auf Beratung und Therapie im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter. Zudem arbeitet sie mit hypnosystemischem Schwerpunkt. Ina Blanc ist auch fachliche Studiengangleiterin der Weiterbildungen in Kinder- und Jugendpsychologie der Uni Basel.

Vorboten psychischer Störungen

Fantasiefreunde hatten in der Psychologie lange einen schlechten Ruf: «Sie wurden als Vorboten von psychischen Störungen angesehen», erklärt die Psychologin Ina Blanc. Erst in den 70er Jahren hat sich das verändert. Heute ist ihr Ruf einwandfrei.

Studien haben sogar gezeigt, dass Kinder mit Fantasiefreunden gegenüber Kindern ohne Fantasiefreunde Vorteile haben: «Sie sind kreativer, haben eine höhere Sprachkompetenz und sind empathischer», sagt Ina Blanc. Weil sie sich immer wieder in ihre imaginären Gefährten hineinversetzen. Und: «Kinder mit Fantasiefreunden sind in sozialen Situationen weniger ängstlich und scheu. Sie lachen und lächeln dabei öfter.»

Wann werden Fantasiefreunde problematisch?

Problematisch werden Fantasiefreunde dann, wenn das Kind sich isoliert, reale soziale Kontakte meidet und nur noch Zeit mit seinem Fantasiefreund verbringt. Das seiaber sehr selten der Fall, weiss Ina Blanc. Und: «In den allermeisten Fällen wissen Kinder, dass ihre imaginären Gefährten nur in der Fantasie existieren.»

Moritz, gibt es Bottol oder gibt es ihn nicht?

Es gibt ihn nicht!

Es gibt ihn nicht?

In der Aussenwelt gibt es ihn nicht. Aber in meiner Kopfwelt gibt es ihn.

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Dem Leben in der Schweiz auf der Spur - der Podcast «Input» liefert jede Woche eine Reportage zu den Themen, die Euch bewegen.

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